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lX. Die Spätgotit
kunſt. Das zerlegte Ornament wird
zu einem höchſt ſenſitiven Organ zier-
licher Möbel, zartfarbige Gobelins
ſchmücken die Wand, und die Buch-
malerei ſchafft ihre luxuriöſeſten Li-
vres d'heures. lus ihr entwickelt ſich
in der erſten hälfte des 15. Jahr-
hunderts eine Malerreihe, an deren
lnfängen die Brüder van Eyck ſtehen,
ſtarke Seher des wirklichen Seins. ber
ſpätgotiſch zart ſind neben ihnen die
flltäre des burgundiſchen hofmalers
Rogier van der Weyden, des hugo
van der Goes, der ſeine Cage im loſter
beſchließt, und des hans Memling.
Jn Deutſchland hat damals jede Stadt
Abb. 66 von Bedeutung ihren Malerkreis, der
Martin Schongauer: Törichte Jungfra ſich in Köln um Stephan Lochner, in
Ulm um Multſcher, in Nürnberg um Wolgemut, am Oberrhein um
Witz und Jſenmann gruppiert. Und es iſt bezeichnend für den neuen
Geſchmack, daß in der Plaſtik das vielfältiger modellierbare Holz das
hauptmaterial wird — die wichtigſten Schnitzer ſind Tilman Riemen-
ſchneider in Franken und Pacher in Tirol , und daß der Kupfer-
ſtich als eine neue Technik gefunden wird, die ebenfalls gegenüber der
Malerei die Möglichkeit feinerer Durcharbeitung und zarterer luf-
löſungen bietet (Abb. 66). Sie wird ſofort beliebter als der derbere
buchilluſtrierende holzſchnitt. Jhre hauptmeiſter ſind Martin Schon-
gauer in Rolmar, der ſog. hausbuchmeiſter, und andere, dem Namen
nach nicht bekannte.
Der künſtleriſche Vortrag wird geſteigert wie in der Architektur:
der Formſtil von der Modellierung zur õerlegung, der Darſtellungs-
ſtil von der Einheit zur Fülle. Wie in der ſpäten lntike umfaßt die
Entwicklung gleichzeitig alle Möglichkeiten, werden die beiden relativen
Gegenſätze des ruhigen und des bewegten Menſchen bis zur kontraſt-
reichen Zierlichkeit einerſeits, bis zum kontraſtreichen Realismus anderer-
ſeiis geſteigert.
Wie ſich im geiſtlichen Schauſpiel der Ton bis zur Pöbelhaſtigkeit
erniedrigt, bis ſchließlich aus dem edlen Oſterſpiel eine wüſte Szene
lX. Die Spätgotit
kunſt. Das zerlegte Ornament wird
zu einem höchſt ſenſitiven Organ zier-
licher Möbel, zartfarbige Gobelins
ſchmücken die Wand, und die Buch-
malerei ſchafft ihre luxuriöſeſten Li-
vres d'heures. lus ihr entwickelt ſich
in der erſten hälfte des 15. Jahr-
hunderts eine Malerreihe, an deren
lnfängen die Brüder van Eyck ſtehen,
ſtarke Seher des wirklichen Seins. ber
ſpätgotiſch zart ſind neben ihnen die
flltäre des burgundiſchen hofmalers
Rogier van der Weyden, des hugo
van der Goes, der ſeine Cage im loſter
beſchließt, und des hans Memling.
Jn Deutſchland hat damals jede Stadt
Abb. 66 von Bedeutung ihren Malerkreis, der
Martin Schongauer: Törichte Jungfra ſich in Köln um Stephan Lochner, in
Ulm um Multſcher, in Nürnberg um Wolgemut, am Oberrhein um
Witz und Jſenmann gruppiert. Und es iſt bezeichnend für den neuen
Geſchmack, daß in der Plaſtik das vielfältiger modellierbare Holz das
hauptmaterial wird — die wichtigſten Schnitzer ſind Tilman Riemen-
ſchneider in Franken und Pacher in Tirol , und daß der Kupfer-
ſtich als eine neue Technik gefunden wird, die ebenfalls gegenüber der
Malerei die Möglichkeit feinerer Durcharbeitung und zarterer luf-
löſungen bietet (Abb. 66). Sie wird ſofort beliebter als der derbere
buchilluſtrierende holzſchnitt. Jhre hauptmeiſter ſind Martin Schon-
gauer in Rolmar, der ſog. hausbuchmeiſter, und andere, dem Namen
nach nicht bekannte.
Der künſtleriſche Vortrag wird geſteigert wie in der Architektur:
der Formſtil von der Modellierung zur õerlegung, der Darſtellungs-
ſtil von der Einheit zur Fülle. Wie in der ſpäten lntike umfaßt die
Entwicklung gleichzeitig alle Möglichkeiten, werden die beiden relativen
Gegenſätze des ruhigen und des bewegten Menſchen bis zur kontraſt-
reichen Zierlichkeit einerſeits, bis zum kontraſtreichen Realismus anderer-
ſeiis geſteigert.
Wie ſich im geiſtlichen Schauſpiel der Ton bis zur Pöbelhaſtigkeit
erniedrigt, bis ſchließlich aus dem edlen Oſterſpiel eine wüſte Szene