Plaſtik und Malerei als Stilglieder 99
werden Pathos und Weichheit. Und immer reicher erfindet die befreite
Phantaſie Stoffe, Gebilde und Sormen. Die letzte Phaſe verhilft dem
Gefühl und der Form zu noch feineren Differenzierungen, ſie iſt einer—
ſeits naiv, andererſeits ſentimental im Sinne Schillers, die realiſtiſche
und die zugleich eigentlich romantiſche Periode, die daher, archaiſierend,
gern Werke ſtrengerer Zeiten nachbildet, als könnte ſie dadurch ein
innigeres Gefühl ausſprechen als ihr eigenes. Entſprechend werden
die Farmen zarter, die Kurven weicher und das Relief flacher, um
nach Art der Malerei die tiefſten Raumwirkungen allen vom Material
geforderten Beſchränkungen zum Trotz vorzuläuſchen. Dieſe Art des
Flachreliefs iſt natürlich ebenſowenig tektoniſch wie das Dorhanden-
ſein einer Fläche unter dem zerſtörenden Ornamentdes Rokoko. Entſpre⸗
hend dieſer maleriſchen Plaſtik findet die Malerei ſelbſt jetzt ihren räum⸗
lich freieſten lusdruck im Impreſſionismus. Dabei muß betont wer—
den, daß zeichneriſche und maleriſche Darſtellungsweife, wie Wölfflin)
dieſe Worte braucht, beide dieſen Spätperioden gehören, die erftere
mehr der zweiten, die letztere mehr der dritten Stilphaſe vorbehalten.
Die Ausdrudsform der erſten, ſtrengſten Periode, die auch von zeich—
neriſcher Art iſt iſt bisher unerörtert geblieben, weil eben die Tendenz
beſteht unter Malerei und Plaſtik nur die künſtleriſch freien Zeiten zu
verſtehen. In der Tat iſt der Grundſatz Fart pour l’art der jeder un—
tettoniſchen von Sachbedingungen freien Epoche. Während im tekto—
niſchen Heginn der Bewegung die Zweckkünſte herrſchen, treten im Aus-
klang dieſe, mit einex gewiſſen grroganz „hohé Kunft“ genannten
Kunftübungen mindeſtens gleichberechtigt, oft bevorzugt neben ſie.
Intexeſſanterweiſe ergah es ſich, daß beim Beginn der doriſchen Epoche
wie der romaniſchen und der Renaifſance diefe beherrſchende Stellung
noch fortdauert, obgleich die konſtruktiven Tendenzen in architektul
und Aunſtgewerbe bereits zum Durchbruch gekommen ſind.
Das Heſetz der drei Stilphaſen gilt alſo auch für die ſogenannten
freien Künſte“, die in denſelben Zeiten frei ſind, in denen die Zweck—
künſte phantaſievoll geſtalten, und in denſelben Zeiten gebunden, in
denen auch dieſe bedingt ſind. Aber man darf dieſes ganze Geſetz in
ſeiner Wichtigkeit nicht überſchätzen. Innerhalb ſeiner hat jede menſch—
heitsperiode ihre eigene künſtleriſche Geſinnung. Das Mittelalter ift
dumpfer, unbeſtimmter in all ſeinen Ausdrucksformen als die in der
Uunſtgeſchichtliche Grundbegriffe. München 1915.
werden Pathos und Weichheit. Und immer reicher erfindet die befreite
Phantaſie Stoffe, Gebilde und Sormen. Die letzte Phaſe verhilft dem
Gefühl und der Form zu noch feineren Differenzierungen, ſie iſt einer—
ſeits naiv, andererſeits ſentimental im Sinne Schillers, die realiſtiſche
und die zugleich eigentlich romantiſche Periode, die daher, archaiſierend,
gern Werke ſtrengerer Zeiten nachbildet, als könnte ſie dadurch ein
innigeres Gefühl ausſprechen als ihr eigenes. Entſprechend werden
die Farmen zarter, die Kurven weicher und das Relief flacher, um
nach Art der Malerei die tiefſten Raumwirkungen allen vom Material
geforderten Beſchränkungen zum Trotz vorzuläuſchen. Dieſe Art des
Flachreliefs iſt natürlich ebenſowenig tektoniſch wie das Dorhanden-
ſein einer Fläche unter dem zerſtörenden Ornamentdes Rokoko. Entſpre⸗
hend dieſer maleriſchen Plaſtik findet die Malerei ſelbſt jetzt ihren räum⸗
lich freieſten lusdruck im Impreſſionismus. Dabei muß betont wer—
den, daß zeichneriſche und maleriſche Darſtellungsweife, wie Wölfflin)
dieſe Worte braucht, beide dieſen Spätperioden gehören, die erftere
mehr der zweiten, die letztere mehr der dritten Stilphaſe vorbehalten.
Die Ausdrudsform der erſten, ſtrengſten Periode, die auch von zeich—
neriſcher Art iſt iſt bisher unerörtert geblieben, weil eben die Tendenz
beſteht unter Malerei und Plaſtik nur die künſtleriſch freien Zeiten zu
verſtehen. In der Tat iſt der Grundſatz Fart pour l’art der jeder un—
tettoniſchen von Sachbedingungen freien Epoche. Während im tekto—
niſchen Heginn der Bewegung die Zweckkünſte herrſchen, treten im Aus-
klang dieſe, mit einex gewiſſen grroganz „hohé Kunft“ genannten
Kunftübungen mindeſtens gleichberechtigt, oft bevorzugt neben ſie.
Intexeſſanterweiſe ergah es ſich, daß beim Beginn der doriſchen Epoche
wie der romaniſchen und der Renaifſance diefe beherrſchende Stellung
noch fortdauert, obgleich die konſtruktiven Tendenzen in architektul
und Aunſtgewerbe bereits zum Durchbruch gekommen ſind.
Das Heſetz der drei Stilphaſen gilt alſo auch für die ſogenannten
freien Künſte“, die in denſelben Zeiten frei ſind, in denen die Zweck—
künſte phantaſievoll geſtalten, und in denſelben Zeiten gebunden, in
denen auch dieſe bedingt ſind. Aber man darf dieſes ganze Geſetz in
ſeiner Wichtigkeit nicht überſchätzen. Innerhalb ſeiner hat jede menſch—
heitsperiode ihre eigene künſtleriſche Geſinnung. Das Mittelalter ift
dumpfer, unbeſtimmter in all ſeinen Ausdrucksformen als die in der
Uunſtgeſchichtliche Grundbegriffe. München 1915.