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Cohn-Wiener, Ernst
Das Kunstgewerbe des Ostens: Aegypten, Vorderasien, Islam, China und Japan : Geschichte, Stile, Technik — Berlin: Verlag für Kunstwissenschaft, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.61212#0160
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ihr Reich. Es ist sehr interessant, am Fliesenwerk der Bauten in
Brussa vom Anfang des 15. Jahrhunderts zu verfolgen, wie neben
dem persischen Rankenwerk plötzlich großzügige Blumen natura-
listisch hervorbrechen, zügellos und unmotiviert, wie das starke
Ausdruckswollen einer noch nicht kultivierten Nation. Im 16. Jahr-
Abb. 121/122 hundert sind die persischen Motive fast vergessen. Breite Borten
umsäumen riesige Felder, in denen große Blumenmotive wich-
tiger werden, als das Gerank und die chinesischen Wolkenbän-
der Persiens. Wo Persien elegant war, ist die Türkei voll un-
mittelbarer Naturkraft. Schließlich, im 16. und 17. Jahrhundert,
füllt ein Blumendekor von unerhörter Schwellkraft die Fliesen-
wände der Moscheen Konstantinopels und seines Herrschgebiets.
Eine Phantasie ohnegleichen, reich und doch kraftvoll, findet
immer neue Wandgestaltungen, die von großen Rand- und Mit-
telmotiven aus die Flächen anfüllen. Die Arabeske ist ganz zu-
rückgetreten. Großblättrige Blumen- und Blattformen herrschen,
Tulpen, Nelken und gefüllte Rosen, und selbst Phantasieblumen
wirken wie gewachsen. Ihre Verknüpfungen sind nicht natura-
listisch, sondern rein dekorativ. Kein Blumengarten ist darge-
stellt, sondern blühende Muster schmücken vom Boden anstei-
gend eine Wand, aber mit solchem Lebensgefühl, daß der Ge-
danke an eine Stilisierung nicht einmal aufkommt. Ihre Farben
sind lebendig wie ihre Formen. Leuchtendes Kobaltblau, Türkis-
blau, Kupfergrün und Tomatenrot, das erst jetzt als Farbe ge-
wonnen wird, treten für die persischen Grundfarben ein, und
es kommt vor, daß man, um den Glanz zu steigern, den Ton
zuerst mit echter Zinnglasur als Engobe überzieht, also zwei
Glasuren übereinanderbrennt.
Abb. 123 Die Gefäße sind von derselben Formkraft. Daß man die Schüs-
seln fast nie von der Mitte aus dekoriert, sondern das natura-
listische Blumenmuster sich von einem Randpunkt aus in großen
symmetrischen Kurven über die Fläche schwingen läßt, ist be-
zeichnend. Die türkische Dekoration hat eine ausgesprochene
Abneigung gegen alle formale Dialektik, sie schafft Kunst, als
wäre sie Natur.
Dort, wo es sich nicht um Formgröße, sondern um die
Qualität einer subtilen Arbeit, um die Schönheit der Nuance han-
delt, ist die persische Kultur der türkischen natürlich ohne weiteres
überlegen. Die Teppichknüpferei, die Punkt für Punkt
des Musters einzeln einknüpft, ist eine solche rein künstlerisch be-
 
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