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Cohn-Wiener, Ernst
Das Kunstgewerbe des Ostens: Aegypten, Vorderasien, Islam, China und Japan : Geschichte, Stile, Technik — Berlin: Verlag für Kunstwissenschaft, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.61212#0162
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stimmte Technik. Sie an der vulgären Textilarbeit, den Geweben,
zu messen, führt zu sehr interessanten Stilbeobachtungen. Denn
während der Teppich abgepaßt ist und in gewissem Grade als
ornamentale Monumentalmalerei gelten kann, ist der Stoffballen
als Gewebestück eigentlich unendlich und muß an jeder Stelle
zerschneidbar sein. Ein Gewandstoff ist um so brauchbarer, je
weniger seine Muster durch den Schnitt zerstört werden können, je
kleiner sie sind. Es ist also nur eine Übersetzung ins Textile,
Abb. 124 wenn auf den frühislamischen Stoffen die einfachen Blattformen
oder Tiermotive nicht frieshaft, wie auf den Geräten, sondern in
unendlicher Reihung nach allen Richtungen entwickelt sind. Auch
ihr Formstil ist sachlich bedingt. Die natürliche Ausdrucksform
für diese Flächenmuster ist ihre Stilisierung zwischen betonten
Linien, und das Feingefühl, mit dem der Wert der Motive allein
mit textilen Mitteln abgestuft wird, zeigt, wie wenig der Tekto-
nismus die Ausdrucksformen behindert, wie reich die Phantasie
auch innerhalb des Zweckes wirken kann.
Abb. 125 Im 13. und 14. Jahrhundert werden, wie in der Keramik, auch
im Gewebe die Muster immer zierlicher. Der Stoff ist nicht mehr
in große Flachmotive aufgeteilt, sondern reiht Tiermotive zwischen
zierliches Rankenwerk. Die Stengel zerspalten sich in Doppel-
linien, die Blüten und Blätter zerfasern, die Silhouette der Tiere
verliert ihre Geschlossenheit. Starker chinesischer Einfluß wirkt
Abb. 126 dabei mit. Das 15. Jahrhundert bringt auch den Geweben die
großen Formmotive phantastischer Blüten, die die Flächen groß-
formig beherrschen. Pathetisch und nicht, wie die Frühmotive,
tektonisch, bedeuten sie für die Gewebe dieselbe reife Pracht,
Abb. 127 wie für die Fliesenkeramik, und auch ihnen entspricht ein graziöser
höfischer Realismus, der Prunkstoffe fast als Bilderbogen be-
handelt.
Fast nur aus dieser Spätzeit, frühestens aus dem 15. Jahrhundert,
sind Qualitätsteppiche erhalten. Ein einziges Stück ist datiert,
und zwar auf das Jahr 1539. Das ist kein Zufall. Das Schönheits-
gefühl des Stils wählt sich die Techniken für seine Gebrauchs-
formen und gestaltet sie. Entscheidend ist nicht, daß sie vorhan-
den sind, sondern daß sie geschätzt werden. Man kann verfolgen,
wie sie, man möchte sagen, unterirdisch erhalten bleiben, um plötz-
lich ans Licht zu tauchen, wenn der Stil in ihnen seinen Ausdruck
zu finden vermag. So erschienen die Techniken der altpersischen
Wandkeramik plötzlich wieder im hohen Islam, so die Teppich-
 
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