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Cohn-Wiener, Ernst [Editor]
Kunst und Landschaft im Elsaß — Berlin: Verlag fuer Kunstwissenschaft, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.56728#0014
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schlossenen Mund der Madonna der zu jähem Aufschrei geöffnete der Magdalena, neben den in-
brünstig ineinander gerungenen Händen die wild emporgespreizten. Auf der anderen Seite steht der
Täufer Johannes, der Prediger in der Wüste. Fest stehen seine Füße auf dem Boden, ein breiter
Mantel fällt um seinen hageren Körper und mit ruhiger Sicherheit deutet er, der Herold des Erlösers
war, mit Auge und Hand dem Schmerz der anderen den Kreuzestod als ein heiliges Ziel. Was dieses
Werk so gewaltig macht, ist die vollkommene Hingabe des Künstlers an seine Aufgabe, überall
ist die letzte Charakteristik gefunden, der stärkste Ausdruck jeder innerlichen Erregung, und so wirkt
das Bild mit einer Eindringlichkeit, daß die Gestalt des kündenden Johannes fast wie die Seele des
Malers selbst scheint. Wenn in dem Bilde der Auferstehung Christus einer Feuerkugel gleich gen
Himmel fährt, mit einem Antlitz, das aufgelöst im Licht schon alles Irdische verloren hat, so hat dies
jähe Aufsteigen die Energie gotischer Pfeilerlinien, und man muß gestehen, daß gegenüber solchem
Leuchten jedes andere Bild der Zeit unbelebt und farblos erscheint.
* *
*
Gegenüber dieser Fülle von Schönheit, mit der der Bewohner der reichen Ebene sein Haus und
seinen Gottesdienst schmückte, erscheint der gebirgige Teil des Landes, das eigentliche Vogesengebiet,
zunächst geradezu arm an Kulturformen. Der Handel bringt in diese einsamen Täler nur die Be-
dürfnisse; die großen Bauernhöfe des Tales sind zu einsamen Häusern zusammengeschrumpft und
finden sich kaum zu Dörfern zusammen. Aber unerschöpflich sind die geheimnisvollen Schönheiten
des Gebirges, die seine Schluchten und Seen, seine roten Berge und tiefgrünen Wälder dem Menschen
aufbehalten haben, der zu ihnen wandert. Wer die Einsamkeit suchte, fand in diesem stillen Land die
rechte Stätte, um sich vor dem Lärm der Welt ganz in sich zurückzuziehen. So tauchen heute vor dem
Auge des Wanderers in abgelegenen Waldtälern uralte Einsiedeleien und Klöster, Kapellen und
Wallfahrtsorte auf, zeigen einen Augenblick ihr weißes Gemäuer und verschwinden wieder im tiefen
Schatten der Wälder. Am eindringlichsten unter ihnen wirkt wohl die Schönheit der alten Abtei
Murbach, die heute halb zerstört, doch noch mit den großen Linien ihrer starkgegliederten Front, die
wie ein Bollwerk von zwei gewaltigen Türmen flankiert wird, ein Sinnbild friedensuchender Kraft ist.
Neben den einsamen Klöstern der Täler erheben sich ragend wie die Horste der Adler die ein-
samen Burgen der Berge, überall steigen die phantastischen Formen dieser malerischen Ruinen im
Gebirge auf, häufig mehrere nebeneinander, verschiedene Behausungen desselben Geschlechtes, zur
gemeinschaftlichen Abwehr verbunden, „drei Burgen auf einem Berg“. Wie die Dörfer des Elsaß gern
ihre Kirdien auf höheren Orten anlegten, um aus dem ummauerten Kirchhof eine einfache Feste zu
machen, so ist der unersteigliche Fels des Ritters fast unüberwindlich gemacht durch die Mauern. Auf
seinem wichtigsten Punkt hielt ein gewaltiger Quaderturm, der Berchfried, der letzte Zufluchtsort der
Belagerten, starke Wacht über das Land, das der Burgherr beherrschte. Rings im Burghof drängte
sich eine Fülle von Gebäuden, Wohnungen und Stallungen, Vorratsräume und eine kleine Kapelle,
der Palas mit dem Rittersaal, das Ganze ein Städtchen für sich. Die Anpassung der Burgen an
die Lage, die die Verteidigung verlangte, läßt sie wie verwachsen mit dem Fels erscheinen, auf dem
sie stehen. Noch ragen ihrer viele auf den Gipfeln der Vogesen; nodi drohen die Berchfriede wie
einst hinab, umwehren die Mauern den Berg und grüßen die gedoppelten Fenster des gastlichen
Rittersaals. Allein die Kraft dieser furchtbaren Mauern ist gebrochen, und die Zeit hat dem lauten
Leben der Burgen und dem stillen Leben der Klöster die gleiche Stimmung der Verlassenheit gegeben.
Zerstörendes Grün überwuchert jetzt Treppen und Gänge, und wenn der Wanderer von den leeren
Fenstern des Palas ins Weite schaut, klingt vielleicht leise in ihm das edelste Lied, das je ein Sohn
dieses köstlichen Landes gesungen, Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde.

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