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Chronik für vervielfältigende Kunst — 1.1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.3767#0089
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originalen Lithographie der Lebensfaden abgeschnitten
worden ist — der Holzschnitt, von Künstlerhand geübt,
selbstständig in der Erfindung und aufrichtig im spontanen
Ausdruck künitlerischer Empfindung, wird noch lange die
Kunstverständigen fesseln und wird, so hosfen wir, auch
die Gunst der grossen Masse der Kunstbedürftigen wieder
gewinnen.
Seien wir nicht blind für die Fertigkeiten der Helio-
gravüre, zollen wir willig Jenen, die in edler Kupferltecher-
kunst sich mühen, die gebührende Achtung, aber ver-
schliessen wir unser Auge nicht den offenbaren Mängeln,
welche auch jener Vervielfältigung anhaften. Wie verblasst,
wie langweilig muthet nicht den mit feinerer Kunstempfin-
dung Begabten die eintönige, kraft- und empfindungslose
Weise der gangbaren Heliogravüre an, ganz zu geschwei-
gen von der Allerweltsautotypie! Im Wettbewerb mit den
mechanischen Vervielfältigungsweisen hat der Holzschnitt
die Mittel seiner Darstellung erweitert, um höheren An-
sprüchen, auf malerische Wirkung zumal, gerecht werden
zu können. Verglichen mit dem, was der ältere Holzschnitt
mit wenigen Mitteln leistete, ist er zu einer anspruchsvollen
und, verhehlen wir es nicht, kostspieligen Kunst geworden,
für die besonders bei uns die richtige Werthsehätzung noch
kaum erwacht zu sein scheint. Amerikaner, Engländer und
Franzosen haben gegenwärtig zweifelsohne ein wohl-
wollenderes Auge für seine hohen künstlerischen Befähi-
gungen, den chemotechnischen Reproduclionen zum Trotz,
wissen sie ihm neben der Radirung den richtigen Platz
anzuweisen. Hosfen wir, dass auch wir dem künstlerisch
behandelten Holzschnitt die alte Liebe und Schätzung
wieder zuwenden werden, umsomehr, als gerade deutsehe
Holzschneider es sind, die im Auslande zu hoher Aner-
kennung gelangt sind.
Das erste Album der „Estampe Originale" interessirt
vor Allem durch zwei originale Holzschnitte von A.Lepere.
Besonders der eine Holzschnitt, der uns einen Blick in die
rue de la Montagne Sainte-Genevieve in Paris thun lässt,
ist ein Meisterwerk, das der malerischen Empfindung und
technischen Fertigkeit des Künstlers das bette Zeugnis
ausstellt. Die Strasse liegt in nächtlichem Schleier. Spär-
liche Lichter der Laternen und Läden dringen nur mühsam

durch. Die Stimmung dieses Nachtbildes ist ausserordent-
lich wahr und persönlich zum Ausdruck gebracht, während
der andere Holzschnitt Lepere's — la Seine au pont
d'Austerlitz — mit weit mehr gesliehten Effecten es zu
keiner rechten Wirkung zu bringen vermag. Zwei Holz-
schnitte von Beltrand streben nach der Wirkung der
Kohlenzeichnung, sie interessiren, aber befriedigen nicht.
Das gilt im Allgemeinen auch von den übrigen Beiträgen
zu diesem Album: von der von uns zinkographisch ver-
kleinerten Studie von D. Vierge, einer Radirung; von
dem Bracquemond's nicht würdigen Porträt Leon
Cladels, ebenfalls einer Radirung, dann von Henri Bou-
tet's chicvoller pointe-seche einer jungen Putzmacherin
auf dem Trottoir und von desselben radirtem Pariser
Nachtbild „Un coin de Paris". Patrice Di Hon hat zwei
Lithographien beigesteuert, die eine führt uns in ein
dämmeriges Atelier, in dem AS gezeichnet wird, die
andere haben wir zinkographisch verkleinert. Es sind
tüchtige, aber nicht erhebliche Arbeiten.
Den wohlwollenden Worten, mit denen Roger Marx
das Album eingeleitet hat, schliessen wir uns gerne an,
nur wünsehen wir, dass die „Estampe Originale" in dem
Beitreben, ihre Pforten den künstlerischen Mitarbeitern
aller Art möglichst weit aufzuthun, es an kritischem Be-
denken in der Auswahl der Beiträge nicht mangeln lassen
möge. Nicht Jeder, der zeichnen oder malen kann, und
leiste er darin auch Grosses, ist auch Radirer. Das sollte
auch der jüngste deutsehe Verein für Originalradirung
nicht ausser Acht lassen!
Noch ein paar Worte über die Erscheinungsweise
des Albums der „Estampe Originale". Zweimal im Jahre,
im Mai und November, wird ein Album herausgegeben.
125 numerirte Exemplare werden für die Mitglieder der
Gesellschaft gedruckt, 25 weitere, von 1—25 numerirte
und mit dem Stempel der Gesellschaft versehene Exem-
plare kommen in den Handel. Die Ausstattung des Werkes
in Gross-Folio ilt durchaus vornehm, der Druck der Bilder
vorzüglich auf verschiedenen Luxuspapieren. Die Bureaux
der Gesellschaft befinden sich in Paris, 4 rue des Petits-
Champs.
R. G.

Radiren und Gradiren.
In Dürer's Tagebuch der Reise in die Niederlande heilst es
(Leitschuhs Ausgabe, S. 68, 29 — 32): „Ich hab gelöst aus zwei Adam
und Eva, ein mehrwunder, 1 Hieronymus, 1 reuther, 1 Nemesin, 1 Eusta-
chium, 1 ganz stuck, mehr 17geäzter stuck" u. s. w. Diese Anwendung
des Wortes ätzen datirt vom November oder December des Jahres
1520, ilt also beinahe vierzig Jahre älter als die in der „Chronik" Nr. 3,
S. 30, herangezogene aus Kaller Ferdinands Schreiben vom 11. Decem-
ber 1559. Die ebendatelblt erwähnte Ausgabe der deuttchen Übersetzung
von Bosse's Tractat vom Jahre 1719, habe ich leitdem erhalten. Der Haupt-
titel lautet wie angeführt. Als fortlaufender Seitentitel hndet sich die

Bezeichnung „Radier- und Etzbüchlein". Die Vorrede „An den verstän-
digen und kunst-liebenden Leser" fängt an: „Es ist, günftiger Leser, nun-
mehr über sechzehen Jahre, dass gegenwärtiges Tra£tätlein in Teutscher
Sprache aus demFranzösischen übergesetzt, was anbelanget die Etz-Kunlt,
von mir herausgegeben [ . . . worden]", woraus also erhellt, dass auch
noch eine Ausgabe dieses „Radier- und Etzbüchleins" vom Jahre 1703
existirt. Wir hätten demnach den Ausdruck „ätzen" für die Jahre 1520,
1559, 1703, 1719, 1745 und 1765 constatirt. Dagegen ist zu bemerken,
dass der Ausdruck „gratiren" (nicht aber „gradiren") allerdings auch
vorkommt. Nach Adolf Rosenberg (Zeitschr. s. bild. Kunst, VIII, p. 350)
findet sich in einem im Berliner Kupferstichkabinet aufbewahrten Manu-
seript aus dem Jahre 1625 eine Abtheilung, überschrieben „Weltliche
 
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