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angehören, denn die ornamentale Kunst hat einen weit
nationaleren Charakter als die monumentale grosse Kunst.
Ein Deutscher oder Italiener, besonders aber ein Nieder-
länder oder Franzose, der einen Ausländer copirt, gibt ihm
fast ausnahmslos das eigene nationale Gepräge. Endlich
haftet allen Copien das Charakteristische an, dass sie das
Original übertreiben oder, wenn sie ssüchtig sind, verwässern.
Eine bestimmte Regel über die Zutheilung solcher
Blätter lässt sich somit nicht aufftellen. Hier bleibt von Fall
zu Fall zu entscheiden, nur dürfen sich für den praktischen
Gebrauch daraus keine Complicationen ergeben. Das ist
aber am einfachsten zu erreichen, wenn man jeden an
einem Ornamentstiche Betheiligten in das personale Ver-
zeichnis hineinbringt und auf einander verweist. Die ein-
fache Anordnung des Kataloges bleibt immer, selbstver-
ständlich unter voller Wahrung der Zuverläsfigkeit, das
oberste Gesetz. Oft genug ist das nur mit der grössten
Mühe zu erreichen; je einfacher überhaupt der Katalog,
desto grösser ist die Arbeit — und auch desto schwieriger.
Leipzig. v. Ubisch.
Ein Pariser Brief über die graphischen Künste im
Salon von 1888.
Der „Salon de gravure" dieses Jahres hat eine besondere Be-
deutung: seit langem hatte man im Induslriepalast der Champs Elysees
keine so grosse Menge von tüchtigen oder gefälligen Werken vereint
gesehen, die allein durch die Mittel von Schwarz und Weiss sind erzielt
worden. Zwei belangreiche Thatsachen lehrte diese Ausstellung: einmal,
dass es vollständig aus ist mit der gravure noble", dem classischen
Stiche, dann, dass der Holzschnitt eine Art von Wiedererweckung
erfahren hat. Gewiss, es ist aus mit jener kalligraphischen Manier, die
sich innerhalb unabänderlicher, man möchte sagen, hieratischer Regeln
bewegte und die der freien Schöpfung, der Phantasie ihrer Jünger eine
Art von Kanon auferlegte, der weit mehr geeignet war, die Findigkeit
des Geometers oder Chartographen zu beschästigen, als die Empfindung
eines Künstlers zu erwecken.
Der Kupserstecher Huot, der so vorzeitig in der Fülle seiner
Jugendkrast und seines Talentes dahingerafst wurde, hat das Geheimnis
gelehrter, arabeskenartiger Taillen eines schwachen und doch merk-
würdig sicheren Stichels mit hinab in die Grube genommen. Er war
eigentlich ein Schönschreiblehrer von ausserordentlicher Virtuosität, aber
er war auch ein Künstler von seltener Empfindung, der es verstand, die
veralteten Manieren zu verjüngen und der sie zu Leitungen zwang, die
weit übertreffen, was man von ihnen zu erwarten berechtigt war.
Da man immer den Künstlern Dank wissen wird, welche sich in
einer Kunst abmühen, die, wie mir scheint, zur Ohnmächtigkeit ver-
dammt ist, so schulde ich Ihnen die Liste derjenigen Kupserstecher, deren
Werke Ausmerksamkeit verdienen. Die„Societe francaise de gra-
vure", welche in Gemeinschast mit dem Staate die Sorge theilt, dass die
wenigen Fortsührer eines absterbenden Kunstzweiges nicht zu Grunde
gehen, hat Annedouche beauftragt, das Porträt eines Kindes von fünf
bis sechs Jahren nach Philippe de Champagne in Kupfer zu stechen. Für
dieselbe Gesellschast hat Blanchard Boucher'sche Supraporten gravirt,
während Didier sür die Chalcographie des Louvre die Wiedergabe
eines Veronese unternahm und Haussoullier mit seinem trockenen,
kalten und summarischen Stichel sich an einige Figuren nach Benozzo
Gozzoli, Luca Signorelli und Verrocchio machte. Die Brüder Jacquet
geben uns aufmerksame Nachbildungen nach Cabanel und Meissonier,
Levasseurhat nach Delaroche gearbeitet — und es ist seltsam, dass man
noch nach Delaroche Stiche macht, deren gemalte Vorbilder man nicht
mehr anschauen will. Schliesslich bemerke ich unter den Ausstellern
noch Lamotte, Massard, Salmon und Varin, die Hoffnung des
Instituts — aber ich sche keinen Grund, der mich bestimmte, des Länge-
ren bei diesen schätzbaren Arbeiten mich aufzuhalten: seien wir ehrlich,
es sind todtgeborne Werke, die man immerhin unter Glas ausbewahren
mag. Beherzigen wir das und gehen wir weiter. Die lebendige Kunst,
die einzige, um die der moderne Geschmack sich kümmert, ruft uns
heran, lassen wir sie nicht länger warten.
Und doch! Aus der Asche der gebenedeiten Kupferstecherei gerade
ist eine neue Kunst, mit sreieren Bewegungen erstanden, die bestrebt ist,
die Besähigungen der alten ursprünglichen Manier mit denen der Radi-
rung zu verquicken. Noch behält da der Grabstichel seine Rolle als
Zeichner der Conturen, der Form; das Einsressen der Säure fügt dann die
Weichheit und Mannigfaltigkeit der Tönungen hinzu, wie es der Wischer
thäte. Und je nachdem nun in einer Platte bald mehr die Weise des
Stiches bald mehr diejenige der Radirung zum Ausdruck kommt, unter-
scheiden wir zwei verschiedene Schulen, deren eine man nennen könnte
,,1'ecole du burin releve d'eau-sorte" und die andere „1 ecole de I'eau-forte
avec rehauts de burin". In der ersten finden wir die alten reumüthigen
Stecher wie Didier, Deblois mit einer guten Wiedergabe von Nikol's
„Interviewing their member", Lenain mit einer guten Actstudie: „Die
Unsterblichkeit" nach Paul de Vigne. Die zweite Schule umfasst beinahe
alle die, welche ihr Stecherhandwerk gut beherrschen, das heisst die,
welche den Stichel zu gebrauchen wissen und zeichnen gelernt haben.
Das Haupt dieser Schule ist Waltner, ein Meister. Allüberall werden
seine Nachschöpfungen nach Rembrandt, Reynolds, Millet bewundert:
dies Jahr zeigt er uns Gainsborough's Lady Mulgrave — sein Werk ist
gewiss das Ausgezeichnetste und Geschickteste, das im Salon de gravure
zu sehen ist. Die Virtuosität in der Mache ist unglaublich, was nur an
technischen Mitteln dem Graveur zu Gebote steht, ist-darin und jedes
Mittel hat seine Spur am rechten Fleck zurückgelassen, will sagen dort,
wo es wirklich nothwendig war. Die Lippen der Schönen sind mit der
kalten Nadel behandelt, sie haben das sammtartige Incarnat der Malerei:
ich will nicht behaupten, dass sie gerade zum Kuss auffordern — das
wäre ungeziemlich, „shocking" — wohl aber rufen sie die Aufmerksam-
keit des Beschauers in unwiderstehlicher Weise wach.
Auch Chauvel gehört zu den Geschicktesten der Geschickten
und er hat es fertig gebracht, die Lila , Rosa- und gelben Töne des
Bildes von Hitchcock, „Die Tulpenpflanzung", das im vorigen Jahre erst
in Paris und dann in Brüssel zu sehen war, wiederzugeben. Was Cham-
pollion anlangt, so hat er viel Ersolg mit seinem Blatt nach Chaplin
,,Im Traum": es ist wunderfein, aber in einer Weise behandelt, die mit
kleinen Mittelchen spielt, die mich wenigstens nicht bestricken.
Viele unsererRadirer arbeiten sür England: Waltner haben wir schon
genannt, er ist drüben der höchstgeschätzte, dann Chauvel; auch de L o s
Rios gehört dazu; er ist von Geburt Spanier, Franzose von Erziehung
und hat mehrere Bilder von Pearce reproducirt, mit viel Talent, aber zu
sehr als Maler, wir meinen, er wirkt zu sehr mit Masien, Flecken, welche
die Technik des Graveurs nur schwer ausdrückt. Denn die Maler, deren
coloristische Mittel so reich und verschiedentüch sind, brauchen auf den
Werth des Striches, des Conturs nicht so sehr den Nachdruck zu legen,
wie die Radirer, die Stecher vor allen; wie anders als durch Conturen
und Strichlagen vermöchten aber diese die Formen, welche gleich hell
beleuchtet sind, aber contrastirende Töne aufweisen, zum Ausdruck
bringen?
Die Schule Gaillard's, dieses Überläusers aus dem Gebiete des
Grabstichels, der sein ganzes Leben lang stach und dabei sich bemühte,
die Spuren seiner Stecherarbeit zu verdecken — diese Schule ist noch
nicht todt. Burney gibt sich Mühe, in vier kleinen Porträten die Weise
der Schule fortzusetzen. Gaujean thut noch Besseres; er schafft eine
neue Weise daraus, er verbessert sie durch verfiändige Vereinfachungen.
Gaillard in seiner letzten Zeit war zu sehr der Sklave des photographischen
angehören, denn die ornamentale Kunst hat einen weit
nationaleren Charakter als die monumentale grosse Kunst.
Ein Deutscher oder Italiener, besonders aber ein Nieder-
länder oder Franzose, der einen Ausländer copirt, gibt ihm
fast ausnahmslos das eigene nationale Gepräge. Endlich
haftet allen Copien das Charakteristische an, dass sie das
Original übertreiben oder, wenn sie ssüchtig sind, verwässern.
Eine bestimmte Regel über die Zutheilung solcher
Blätter lässt sich somit nicht aufftellen. Hier bleibt von Fall
zu Fall zu entscheiden, nur dürfen sich für den praktischen
Gebrauch daraus keine Complicationen ergeben. Das ist
aber am einfachsten zu erreichen, wenn man jeden an
einem Ornamentstiche Betheiligten in das personale Ver-
zeichnis hineinbringt und auf einander verweist. Die ein-
fache Anordnung des Kataloges bleibt immer, selbstver-
ständlich unter voller Wahrung der Zuverläsfigkeit, das
oberste Gesetz. Oft genug ist das nur mit der grössten
Mühe zu erreichen; je einfacher überhaupt der Katalog,
desto grösser ist die Arbeit — und auch desto schwieriger.
Leipzig. v. Ubisch.
Ein Pariser Brief über die graphischen Künste im
Salon von 1888.
Der „Salon de gravure" dieses Jahres hat eine besondere Be-
deutung: seit langem hatte man im Induslriepalast der Champs Elysees
keine so grosse Menge von tüchtigen oder gefälligen Werken vereint
gesehen, die allein durch die Mittel von Schwarz und Weiss sind erzielt
worden. Zwei belangreiche Thatsachen lehrte diese Ausstellung: einmal,
dass es vollständig aus ist mit der gravure noble", dem classischen
Stiche, dann, dass der Holzschnitt eine Art von Wiedererweckung
erfahren hat. Gewiss, es ist aus mit jener kalligraphischen Manier, die
sich innerhalb unabänderlicher, man möchte sagen, hieratischer Regeln
bewegte und die der freien Schöpfung, der Phantasie ihrer Jünger eine
Art von Kanon auferlegte, der weit mehr geeignet war, die Findigkeit
des Geometers oder Chartographen zu beschästigen, als die Empfindung
eines Künstlers zu erwecken.
Der Kupserstecher Huot, der so vorzeitig in der Fülle seiner
Jugendkrast und seines Talentes dahingerafst wurde, hat das Geheimnis
gelehrter, arabeskenartiger Taillen eines schwachen und doch merk-
würdig sicheren Stichels mit hinab in die Grube genommen. Er war
eigentlich ein Schönschreiblehrer von ausserordentlicher Virtuosität, aber
er war auch ein Künstler von seltener Empfindung, der es verstand, die
veralteten Manieren zu verjüngen und der sie zu Leitungen zwang, die
weit übertreffen, was man von ihnen zu erwarten berechtigt war.
Da man immer den Künstlern Dank wissen wird, welche sich in
einer Kunst abmühen, die, wie mir scheint, zur Ohnmächtigkeit ver-
dammt ist, so schulde ich Ihnen die Liste derjenigen Kupserstecher, deren
Werke Ausmerksamkeit verdienen. Die„Societe francaise de gra-
vure", welche in Gemeinschast mit dem Staate die Sorge theilt, dass die
wenigen Fortsührer eines absterbenden Kunstzweiges nicht zu Grunde
gehen, hat Annedouche beauftragt, das Porträt eines Kindes von fünf
bis sechs Jahren nach Philippe de Champagne in Kupfer zu stechen. Für
dieselbe Gesellschast hat Blanchard Boucher'sche Supraporten gravirt,
während Didier sür die Chalcographie des Louvre die Wiedergabe
eines Veronese unternahm und Haussoullier mit seinem trockenen,
kalten und summarischen Stichel sich an einige Figuren nach Benozzo
Gozzoli, Luca Signorelli und Verrocchio machte. Die Brüder Jacquet
geben uns aufmerksame Nachbildungen nach Cabanel und Meissonier,
Levasseurhat nach Delaroche gearbeitet — und es ist seltsam, dass man
noch nach Delaroche Stiche macht, deren gemalte Vorbilder man nicht
mehr anschauen will. Schliesslich bemerke ich unter den Ausstellern
noch Lamotte, Massard, Salmon und Varin, die Hoffnung des
Instituts — aber ich sche keinen Grund, der mich bestimmte, des Länge-
ren bei diesen schätzbaren Arbeiten mich aufzuhalten: seien wir ehrlich,
es sind todtgeborne Werke, die man immerhin unter Glas ausbewahren
mag. Beherzigen wir das und gehen wir weiter. Die lebendige Kunst,
die einzige, um die der moderne Geschmack sich kümmert, ruft uns
heran, lassen wir sie nicht länger warten.
Und doch! Aus der Asche der gebenedeiten Kupferstecherei gerade
ist eine neue Kunst, mit sreieren Bewegungen erstanden, die bestrebt ist,
die Besähigungen der alten ursprünglichen Manier mit denen der Radi-
rung zu verquicken. Noch behält da der Grabstichel seine Rolle als
Zeichner der Conturen, der Form; das Einsressen der Säure fügt dann die
Weichheit und Mannigfaltigkeit der Tönungen hinzu, wie es der Wischer
thäte. Und je nachdem nun in einer Platte bald mehr die Weise des
Stiches bald mehr diejenige der Radirung zum Ausdruck kommt, unter-
scheiden wir zwei verschiedene Schulen, deren eine man nennen könnte
,,1'ecole du burin releve d'eau-sorte" und die andere „1 ecole de I'eau-forte
avec rehauts de burin". In der ersten finden wir die alten reumüthigen
Stecher wie Didier, Deblois mit einer guten Wiedergabe von Nikol's
„Interviewing their member", Lenain mit einer guten Actstudie: „Die
Unsterblichkeit" nach Paul de Vigne. Die zweite Schule umfasst beinahe
alle die, welche ihr Stecherhandwerk gut beherrschen, das heisst die,
welche den Stichel zu gebrauchen wissen und zeichnen gelernt haben.
Das Haupt dieser Schule ist Waltner, ein Meister. Allüberall werden
seine Nachschöpfungen nach Rembrandt, Reynolds, Millet bewundert:
dies Jahr zeigt er uns Gainsborough's Lady Mulgrave — sein Werk ist
gewiss das Ausgezeichnetste und Geschickteste, das im Salon de gravure
zu sehen ist. Die Virtuosität in der Mache ist unglaublich, was nur an
technischen Mitteln dem Graveur zu Gebote steht, ist-darin und jedes
Mittel hat seine Spur am rechten Fleck zurückgelassen, will sagen dort,
wo es wirklich nothwendig war. Die Lippen der Schönen sind mit der
kalten Nadel behandelt, sie haben das sammtartige Incarnat der Malerei:
ich will nicht behaupten, dass sie gerade zum Kuss auffordern — das
wäre ungeziemlich, „shocking" — wohl aber rufen sie die Aufmerksam-
keit des Beschauers in unwiderstehlicher Weise wach.
Auch Chauvel gehört zu den Geschicktesten der Geschickten
und er hat es fertig gebracht, die Lila , Rosa- und gelben Töne des
Bildes von Hitchcock, „Die Tulpenpflanzung", das im vorigen Jahre erst
in Paris und dann in Brüssel zu sehen war, wiederzugeben. Was Cham-
pollion anlangt, so hat er viel Ersolg mit seinem Blatt nach Chaplin
,,Im Traum": es ist wunderfein, aber in einer Weise behandelt, die mit
kleinen Mittelchen spielt, die mich wenigstens nicht bestricken.
Viele unsererRadirer arbeiten sür England: Waltner haben wir schon
genannt, er ist drüben der höchstgeschätzte, dann Chauvel; auch de L o s
Rios gehört dazu; er ist von Geburt Spanier, Franzose von Erziehung
und hat mehrere Bilder von Pearce reproducirt, mit viel Talent, aber zu
sehr als Maler, wir meinen, er wirkt zu sehr mit Masien, Flecken, welche
die Technik des Graveurs nur schwer ausdrückt. Denn die Maler, deren
coloristische Mittel so reich und verschiedentüch sind, brauchen auf den
Werth des Striches, des Conturs nicht so sehr den Nachdruck zu legen,
wie die Radirer, die Stecher vor allen; wie anders als durch Conturen
und Strichlagen vermöchten aber diese die Formen, welche gleich hell
beleuchtet sind, aber contrastirende Töne aufweisen, zum Ausdruck
bringen?
Die Schule Gaillard's, dieses Überläusers aus dem Gebiete des
Grabstichels, der sein ganzes Leben lang stach und dabei sich bemühte,
die Spuren seiner Stecherarbeit zu verdecken — diese Schule ist noch
nicht todt. Burney gibt sich Mühe, in vier kleinen Porträten die Weise
der Schule fortzusetzen. Gaujean thut noch Besseres; er schafft eine
neue Weise daraus, er verbessert sie durch verfiändige Vereinfachungen.
Gaillard in seiner letzten Zeit war zu sehr der Sklave des photographischen