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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
Elsen vermutet hat, durch einen vorübergehenden Aufenthalt in Wien oder über die Begegnung mit österreichischen
Malern in Regensburg selbst angestoßen wurde141. Denkbar wäre auch, dass dessen künstlerische Prägung als Werk-
stattleiter zunehmend in den Hintergrund trat. Jedenfalls scheint dieses Modell geeignet, die spezifischen Probleme
und Fragen zu klären, welche sich bei der Beschäftigung mit den Werken der Menger-Werkstatt ergeben. Während
Fritzsche den ersten Stilwandel im Marienfenster auf Wiener Werkleute zurückführte, so lassen sich gute Gründe
dafür benennen, dass auch die zweite Zuwanderungswelle in Mengers Atelier durch Fachkräfte erfolgte, die aus dem
österreichischen Donaugebiet zugezogen waren. Ein wichtiger Beleg hierfür sind die Glasmalereien der Stadtkirche
im oberösterreichischen Wels bei Linz, auf die bereits Franz Kieslinger aufmerksam gemacht hat (vgl. Fig. 279)142.
Kieslinger wollte in ihnen jedoch Regensburger Exportwerke sehen. Tatsächlich sind die gestalterischen Mittel
die gleichen wie bei Menger. Dazu zählt vor allem die große Bildform und der theatralische Auftritt der Figuren,
der vor dem durchlaufenden Teppich aus Blattkaros recht wirkungsvoll inszeniert wird. Die stilbildenden Voraus-
setzungen wird man allerdings schwerlich in der Regensburger Kunst finden, die sich bis zur Jahrhundertmitte ja
als erstaunlich resistent gegenüber Neuerungen erweist. Die entscheidenden Impulse dürften vielmehr von der seit
1340 am Wiener Stephansdom tätigen Werkstatt ausgegangen sein. Dort wurde das westliche Vorlagenmaterial in
ein monumentales bahnübergreifendes Bildkonzept mit jener stark ornamentalen Prägung und in der Fläche verhaf-
teten Figuren übersetzt, die auch für die Menger-Werkstatt bezeichnend sind (Fig. 25-27). Dass die Wiener Werkstät-
ten dabei auf oberrheinischen Voraussetzungen aufbauten, wird unmittelbar deutlich, wenn man die Madonna aus
Wiener Neustadt (um 1340) der entsprechenden Darstellung aus dem Westfenster der Freiburger Dominikanerkirche
(um 1300) gegenüberstellt143. Nach der Jahrhundertmitte fanden die Glasmaler unter Einfluss der Trecentomalerei,
die vielleicht gleichfalls über franko-flämische Vorlagen vermittelt worden war, zu architektonischer Raumgestaltung
und einem moderneren Figurenstil, die das charakteristische Erscheinungsbild sowohl des Welser Erlösungsfensters
als auch der Werke des Menger-Ateliers prägten144.
Während Königsfelden für die Wiener Glasmalerei nur insofern eine Rolle spielte, als beide Werkstätten oberrhei-
nisches Stilmaterial verarbeiteten, dabei aber zu unterschiedlichen Lösungen gelangten, zeigt sich das Menger-Atelier
hiervon viel unmittelbarer berührt145: Wie im Falle des Passionszyklus der Regensburger Minoriten weisen auch die
beiden später von »Menger« hinzugefügten Chorflankenfenster auf eine intimere Kenntnis der Königsfeldener Glas-
malereien hin (Fig. 224E). Das alttestamentliche Fenster und die Franziskusvita sind so feinfühlig auf das vorhandene
Gliederungsschema des Passionsfensters abgestimmt, die Vita des Ordensgründers so überzeugend in den typo-
logischen Bilderkanon eingebunden, dass die ältere Forschung an der Zusammengehörigkeit beider Werkgruppen
keinerlei Zweifel hegte146. Mit Königsfelden haben die Flankenfenster nicht nur die strenge Tektonik der Fensterglie-
derung gemein - man vergleiche etwa die Wiederaufnahme der charakteristischen Medaillonketten aus verschlun-
genen Rautenvierpässen des Königsfelder Chorfensters süd III in der Regensburger Franziskusvita147 -, es bestehen
darüber hinaus auch Gemeinsamkeiten in der Ikonographie einzelner Franziskusszenen (vgl. Fig. 294!.). Einzelne
Bildvorlagen lassen sich sogar auf die mustergültigen Malereien Giottos in der Oberkirche von San Francesco in
Assisi zurückführen (vgl. Fig. 273)148. Die trecenteske Motivik, die auch in anderen Arbeiten Mengers wiederkehrt
- zu nennen ist beispielsweise das Motiv der am Kreuz kauernden Maria Magdalena im Kreuzigungsfenster des
Regensburger Doms, welches schon in Wels begegnet (vgl. Fig. 279) -, stellt eine weitere Gemeinsamkeit zwischen
Passionsfenster und den Arbeiten der Menger-Werkstatt dar und lässt auf ein vorerst nicht näher zu bestimmendes
Verhältnis beider Werkstätten zueinander schließen149.
Dies gilt auch für die Frage eines böhmischen Einflusses. Drexler hatte diesbezüglich auf Stilparallelen in den Wer-
ken Meister Theoderichs und den Wandmalereien des Prager Emausklosters hingewiesen150. In politischer wie wirt-
schaftlicher Hinsicht waren die Voraussetzungen für einen künstlerischen Austausch mit dem neuen Herrschafts-
zentrum durchaus gegeben. Regensburg rückte nach der Mitte des 14. Jahrhunderts vorübergehend ins Blickfeld der
141 Elsen 1940, S. 133.
142 Kieslinger 1928, S. 28 und Taf. XII,if.
14^ Nürnberg GNM, MM 717. Hierzu auch Frodl-Kraft 1962,
S. XIX. Zur Muttergottes der Freiburger Dominikanerkirche zuletzt
Becksmann 2010, II, S. 551-562, Fig. 675.
I44 Frodl-Kraft 1962, S. 10-12. Auf die Zusammenhänge mit Wien
hatte bereits Elsen 1940, S. 133, hingewiesen. Dagegen leitet Fritz-
sche Mengers Stil von einem längeren Aufenthalt am Oberrhein ab.
Fritzsche 1987,1, S. LXXIV, und ebenso Laipple-Fritzsche 1989b,
s. 137-139-
145 Zu Königsfelden s. Kurmann-Schwarz 2008. Engere Zusam-
menhänge zwischen den Habsburgischen Fensterstiftungen in Kö-
nigsfelden und Wien hatte bereits Maurer 1954, S. 326, abgelehnt.
Hierzu auch Frodl-Kraft 1962, S. XIX-XX.
146 Vgl. Schinnerer 1908, S. 4E, und Frankl 1912, S. 25-28.
147 Kurmann-Schwarz 2008, Farbtaf. 26-31.
KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
Elsen vermutet hat, durch einen vorübergehenden Aufenthalt in Wien oder über die Begegnung mit österreichischen
Malern in Regensburg selbst angestoßen wurde141. Denkbar wäre auch, dass dessen künstlerische Prägung als Werk-
stattleiter zunehmend in den Hintergrund trat. Jedenfalls scheint dieses Modell geeignet, die spezifischen Probleme
und Fragen zu klären, welche sich bei der Beschäftigung mit den Werken der Menger-Werkstatt ergeben. Während
Fritzsche den ersten Stilwandel im Marienfenster auf Wiener Werkleute zurückführte, so lassen sich gute Gründe
dafür benennen, dass auch die zweite Zuwanderungswelle in Mengers Atelier durch Fachkräfte erfolgte, die aus dem
österreichischen Donaugebiet zugezogen waren. Ein wichtiger Beleg hierfür sind die Glasmalereien der Stadtkirche
im oberösterreichischen Wels bei Linz, auf die bereits Franz Kieslinger aufmerksam gemacht hat (vgl. Fig. 279)142.
Kieslinger wollte in ihnen jedoch Regensburger Exportwerke sehen. Tatsächlich sind die gestalterischen Mittel
die gleichen wie bei Menger. Dazu zählt vor allem die große Bildform und der theatralische Auftritt der Figuren,
der vor dem durchlaufenden Teppich aus Blattkaros recht wirkungsvoll inszeniert wird. Die stilbildenden Voraus-
setzungen wird man allerdings schwerlich in der Regensburger Kunst finden, die sich bis zur Jahrhundertmitte ja
als erstaunlich resistent gegenüber Neuerungen erweist. Die entscheidenden Impulse dürften vielmehr von der seit
1340 am Wiener Stephansdom tätigen Werkstatt ausgegangen sein. Dort wurde das westliche Vorlagenmaterial in
ein monumentales bahnübergreifendes Bildkonzept mit jener stark ornamentalen Prägung und in der Fläche verhaf-
teten Figuren übersetzt, die auch für die Menger-Werkstatt bezeichnend sind (Fig. 25-27). Dass die Wiener Werkstät-
ten dabei auf oberrheinischen Voraussetzungen aufbauten, wird unmittelbar deutlich, wenn man die Madonna aus
Wiener Neustadt (um 1340) der entsprechenden Darstellung aus dem Westfenster der Freiburger Dominikanerkirche
(um 1300) gegenüberstellt143. Nach der Jahrhundertmitte fanden die Glasmaler unter Einfluss der Trecentomalerei,
die vielleicht gleichfalls über franko-flämische Vorlagen vermittelt worden war, zu architektonischer Raumgestaltung
und einem moderneren Figurenstil, die das charakteristische Erscheinungsbild sowohl des Welser Erlösungsfensters
als auch der Werke des Menger-Ateliers prägten144.
Während Königsfelden für die Wiener Glasmalerei nur insofern eine Rolle spielte, als beide Werkstätten oberrhei-
nisches Stilmaterial verarbeiteten, dabei aber zu unterschiedlichen Lösungen gelangten, zeigt sich das Menger-Atelier
hiervon viel unmittelbarer berührt145: Wie im Falle des Passionszyklus der Regensburger Minoriten weisen auch die
beiden später von »Menger« hinzugefügten Chorflankenfenster auf eine intimere Kenntnis der Königsfeldener Glas-
malereien hin (Fig. 224E). Das alttestamentliche Fenster und die Franziskusvita sind so feinfühlig auf das vorhandene
Gliederungsschema des Passionsfensters abgestimmt, die Vita des Ordensgründers so überzeugend in den typo-
logischen Bilderkanon eingebunden, dass die ältere Forschung an der Zusammengehörigkeit beider Werkgruppen
keinerlei Zweifel hegte146. Mit Königsfelden haben die Flankenfenster nicht nur die strenge Tektonik der Fensterglie-
derung gemein - man vergleiche etwa die Wiederaufnahme der charakteristischen Medaillonketten aus verschlun-
genen Rautenvierpässen des Königsfelder Chorfensters süd III in der Regensburger Franziskusvita147 -, es bestehen
darüber hinaus auch Gemeinsamkeiten in der Ikonographie einzelner Franziskusszenen (vgl. Fig. 294!.). Einzelne
Bildvorlagen lassen sich sogar auf die mustergültigen Malereien Giottos in der Oberkirche von San Francesco in
Assisi zurückführen (vgl. Fig. 273)148. Die trecenteske Motivik, die auch in anderen Arbeiten Mengers wiederkehrt
- zu nennen ist beispielsweise das Motiv der am Kreuz kauernden Maria Magdalena im Kreuzigungsfenster des
Regensburger Doms, welches schon in Wels begegnet (vgl. Fig. 279) -, stellt eine weitere Gemeinsamkeit zwischen
Passionsfenster und den Arbeiten der Menger-Werkstatt dar und lässt auf ein vorerst nicht näher zu bestimmendes
Verhältnis beider Werkstätten zueinander schließen149.
Dies gilt auch für die Frage eines böhmischen Einflusses. Drexler hatte diesbezüglich auf Stilparallelen in den Wer-
ken Meister Theoderichs und den Wandmalereien des Prager Emausklosters hingewiesen150. In politischer wie wirt-
schaftlicher Hinsicht waren die Voraussetzungen für einen künstlerischen Austausch mit dem neuen Herrschafts-
zentrum durchaus gegeben. Regensburg rückte nach der Mitte des 14. Jahrhunderts vorübergehend ins Blickfeld der
141 Elsen 1940, S. 133.
142 Kieslinger 1928, S. 28 und Taf. XII,if.
14^ Nürnberg GNM, MM 717. Hierzu auch Frodl-Kraft 1962,
S. XIX. Zur Muttergottes der Freiburger Dominikanerkirche zuletzt
Becksmann 2010, II, S. 551-562, Fig. 675.
I44 Frodl-Kraft 1962, S. 10-12. Auf die Zusammenhänge mit Wien
hatte bereits Elsen 1940, S. 133, hingewiesen. Dagegen leitet Fritz-
sche Mengers Stil von einem längeren Aufenthalt am Oberrhein ab.
Fritzsche 1987,1, S. LXXIV, und ebenso Laipple-Fritzsche 1989b,
s. 137-139-
145 Zu Königsfelden s. Kurmann-Schwarz 2008. Engere Zusam-
menhänge zwischen den Habsburgischen Fensterstiftungen in Kö-
nigsfelden und Wien hatte bereits Maurer 1954, S. 326, abgelehnt.
Hierzu auch Frodl-Kraft 1962, S. XIX-XX.
146 Vgl. Schinnerer 1908, S. 4E, und Frankl 1912, S. 25-28.
147 Kurmann-Schwarz 2008, Farbtaf. 26-31.