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Becksmann, Rüdiger
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg im Breisgau: Münster Unserer Lieben Frau — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 2,2, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.52840#0083

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MÜNSTER • SPÄTROMANISCHE OSTTEILE

gewesen sein1. Bereits Ende des 12. Jahrhunderts war er für die unter der Herrschaft der Herzöge von Zähringen schnell
wachsende Stadt zu klein geworden. Um 1200 hat man daher im Osten, offensichtlich großenteils mit Basler Stein-
metzen, einen spätromanischen Neubau nach dem Vorbild der damals im Bau befindlichen Ostteile des Straßburger
Münsters begonnen, das alte Langhaus jedoch so lange als möglich weiterbenutzt. Aus diesem Grund blieb nicht nur die
Breite des Mittelschiffes, sondern auch der Dreikonchenchor für den Nachfolgebau bestimmend, nahmen die vom Straß-
burger Vorbild abweichenden Chorflankentürme im Erdgeschoß Kapellenräume auf, obgleich der in seinem Grundriß
durch Grabungen gesicherte Vorgängerbau nur vergleichsweise bescheidene Abmessungen besaß. Da keinerlei Baudaten
oder gesicherte historische Anhaltspunkte überliefert sind, bleibt die zeitliche Klärung des Bauvorgangs auf die form-
und stilgeschichtliche Beurteilung der Grabungsfunde wie der im hoch- und spätgotischen Neubau des Münsters
bewahrten Bauteile angewiesen2. Selbst die Patroziniumsfrage war lange wegen fehlender Quellen umstritten. Der all-
gemeinen Annahme, der Gründungsbau sei dem Hl. Nikolaus, dem Patron der Kaufleute, geweiht gewesen, steht der
Umstand entgegen, daß die Pfarrkirche in der Neuburg, der seit der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert errichteten
nördlichen Vorstadt, dem Hl. Nikolaus geweiht war. Man hat versucht, dieses Problem durch die Annahme eines um
1200 vollzogenen Patroziniumswechsels von Nikolaus zu Maria zu lösen, der Hl. Nikolaus wird jedoch erst nach der
Zerstörung der Filialkirche in der Neuburg 1677 als Zweitpatron des Münsters genannt3. Am ehesten vermögen daher
jene Überlegungen zu überzeugen, die davon ausgehen, daß schon der Hauptaltar des Gründungsbaues der Muttergottes
und die Altäre in den Nebenapsiden wie im spätromanischen Neubau den Hll. Maria Magdalena und Nikolaus geweiht
waren4. Noch etwas ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert: Das Münster war von Anfang an Pfarrkirche, war
also nicht wie das Münster der ebenfalls von den Zähringern gegründeten Stadt Villingen von einer in der Nähe gelege-
nen älteren Kirche abhängig. Auf Grund des Patronatsrechts konnte der Stadtherr den Bürgern daher schon im Grün-
dungsprivileg das Recht auf freie Wahl des Pfarrers »über die von ihm errichtete und ausgestattete Kirche« zusichern5.

1 Auf der Grundlage von Ausgrabungsbefunden hat Erdmann 1970 eine
erste Rekonstruktion des nach seinen Überlegungen unter Herzog Kon-
rad von Zähringen (1122-1152) errichteten Gründungsbaues vorgelegt.
Neue, noch unveröffentlichte Erkenntnisse haben Immo Beyer aller-
dings zu einer in vielen Details hiervon abweichenden Rekonstruktion
sowie zur Annahme eines früheren Baubeginns geführt.
2 Hierfür grundlegend Osteneck 1973 (mit der älteren Literatur) sowie
zusammenfassend und bezugnehmend auf die Grabung von 1969 vorab
ders., 1970. Zuletzt haben sich hierzu geäußert Schlink 2002, S. 137-
139, und Matthias Untermann, Das Freiburger Münster im Spiegel der
mittelalterlichen Baukunst der Regio, in: Münsterblatt 7, 2000, S. 5-14,
hier S. 6-9.
3 Vgl. hierzu die quellenkritischen Ausführungen von Hans Schadek,
in: Geschichte der Stadt Freiburg I, 2001, S. 83-87, 610, Anm. 93-95.
4 Erstmals Schwineköper 1988, S. 511-513, und ihm folgend Schadek
(wie Anm. 3) 2001, S. 610, Anm. 93.
5 Schadek (wie Anm. 3) 2001, S. 81-83, führt dies auf den glücklichen
Umstand zurück, daß mit dem allerdings bereits 1110 verstorbenen Geb-
hard ein Angehöriger der Zähringer den Konstanzer Bischofsstuhl inne-
hatte. Zugleich ist dies ein weiteres Argument für eine vor 1120 erfolgte
Stadtgründung und einen früheren Baubeginn von Münster I.
6 Hierzu ausführlich Schwineköper 1988, S. 506-511, der entschieden
bezweifelt, daß Berthold V. von Anfang an den Chor des Freiburger
Münsters zu seiner Grablege bestimmt und auf deren Gestalt und Aus-
stattung Einfluß genommen habe. In beiden Punkten hat ihm Schadek
(wie Anm. 3) 2001, S. 85-87, widersprochen.
7 Nach Schwineköper 1988, S. 493!., 514-518, muß es sich hierbei um
eine Notlösung gehandelt haben.
8 Ein Baubeginn »vielleicht um oder bald nach 1210«, wie ihn zuletzt
Friedrich Kobler, in: Geschichte der Stadt Freiburg I, 2001, S. 347, an-
nahm, dürfte nach den jüngsten archäologischen Erkenntnissen jedoch
zu spät sein. Zu dem hier erstmals mit dem Jahr 1198 verbundenen Plan
eines repräsentativen Neubaus vgl. auch Anm. 74.
9 Zur Forschungsgeschichte ausführlich Osteneck 1973, S. 13-21. Der
radikale Bruch in der Formensprache zwischen spätromanischen Osttei-
len und frühgotischem Langhaus, den Noack 1959, S. 33, bereits mit
dem Herrschaftswechsel nach dem Tod Bertholds 1218 verbunden hatte,
kann nach Ostenecks Beobachtungen am Bau (ebenda, S. 162-170) frü-
hestens um 1235 erfolgt sein. Vgl. hierzu auch S. 151!.

10 Dies geht aus der Jahrzeitstiftung der Anastasia Keppenbach vom
27. September 1438 (Albert 1912, S. 28) hervor. Darin heißt es, daß ihr
und ihrer Kinder Grab vor dem St. Annen-Altar an der nördlichen Chor-
schranke im Münster mit Gesang und Gebeten began [begangen] wer-
den sollte, als man denne jerlich obe des herzogen von Zeringen grabe
pfliget zu tunde.Ng^. hierzu auch Butz 1978, Nr. 154.
Das zwischen 1317 und 1341 zusammengestellte Tennenbacher Güterbuch
vermerkt zu Berthold V. außerdem, daß er sine filiis obiit anno domini
1218, XII. kalendas marcii [18. Februar] et sepultus est in monasterio Fri-
burg. Mit monastenum muß, was bisher nicht in Erwägung gezogen wurde,
jener Bereich des Chores gemeint sein, in dem sich die Kapläne und Al-
taristen zu gemeinsamen Gebeten und Messen in ihrem Gestühl versam-
melten. Im Falle des Freiburger Münsters befand sich dieser nach den
unveröffentlicht gebliebenen Bauforschungen von Karl Becker in der er-
höhten Vierung. Die Unkenntnis dieser Situation hat die Diskussion um
das Grab des letzten Zähringers lange verunklärt. Vgl. hierzu nochmals
Butz 1978, S. 181-187, Heinfried Wischermann, Grabmal, Grabdenkmal
und Memoria im Mittelalter (Berichte und Forschungen zur Kunstge-
schichte 5), Freiburg i. Br. 1980, Rüdiger Becksmann, in: Kat. Ausst. Frei-
burg i. Br. 1986, I, S. 7, und vor allem Karl Schmid, ebenda, S. 425-430.
11 Bei Grabungen aus Anlaß der Umgestaltung des Altarbereichs konnte
2006 die bis 1511 bestehende Situation weiter geklärt werden. Vgl. hierzu
den Vorbericht von Frank Löbbecke, in: Archäologische Grabungen
in Baden-Württemberg 2006, S. 219-223. Für eine ausführliche Diskus-
sion hierüber möchte ich Herrn Dr. Löbbecke, Freiburg i. Br. herzlich
danken.
12 Vgl. hierzu nochmals Löbbecke (wie Anm. 11). Bereits 2001 hatte
Untermann in einem Tagungsbeitrag auf die seit 1316 zu belegende
stiftsartige Nutzung des Freiburger Chores aufmerksam gemacht
und hierfür u. a. auf die Esslinger Stadtkirche St. Dionys verwiesen. Vgl.
Matthias Untermann, Stiftskirchenartige Bauformen an südwestdeut-
schen Stadtkirchen des 13. und 14. Jahrhunderts, in: Funktion und Form.
Die mittelalterliche Stiftskirche im Spannungsfeld von Kunstgeschichte,
Landeskunde und Archäologie (Schriften zur südwestdeutschen Landes-
kunde 59), Ostfildern 2007, S. 223-234, hier S. 229-231.
13 Hinweise hierauf erstmals bei Becksmann 2005, S. 22-26.
14 Albert 1909, S. 34 (Nr. 363).
15 Zuletzt hierzu Flum 2001, S. 70, mit Verweis auf die in den Münster-
rechnungen von 1512/13 belegten Tätigkeiten.
 
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