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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0031

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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

Als größter noch bestehender Glasmalereistandort des B earbeitungsgebiets hat Oppenheim Eingang in den Titel dieses
Buches gefunden. Was aus dem Blickwinkel des Kunsthistorikers nur allzu gerechtfertigt erscheint, muss den Histo-
riker verwundern, da Oppenheim zwar ein strategisch wichtiger Ort innerhalb des Reichs war, aber zu keiner Zeit
eine ausgewiesene Zentralitätsfunktion besaß. Diese Stellung nahmen andere Orte ein: namentlich Mainz, das vor-
malige römische Mogontiacum, das sich - nach seinem Niedergang im 4.75. Jahrhundert - in merowingischer Zeit als
Bischofssitz und städtische Siedlung konsolidierte und in der Folge, nachdem es zur Zeit König Karls des Großen zu
einer erzbischöflichen Metropole erhoben worden war, zu einem der wichtigsten Zentren des mittelalterlichen Reichs
entwickelte; aber auch Worms, wie Mainz eine alte, obgleich weniger bedeutende Bischofsstadt, die in der zweiten
Hälfte des 8. Jahrhunderts eine Pfalz Karls des Großen in ihren Mauern beherbergte und vom 11. Jahrhundert an zum
zweiten großen, sowohl politisch-wirtschaftlichen als auch religiös-geistigen Zentrum der Region in Hoch- und Spät-
mittelalter aufstieg. Weitere, außerhalb des hier bearbeiteten Gebiets liegende zentrale Orte waren und wurden der alte
Bischofssitz Speyer im Süden, Heidelberg als Residenzstadt der Pfalzgrafen bei Rhein im Südosten und Frankfurt am
Main im Nordosten. Ein besonderes Interesse kommt hier vor allem den Städten Mainz, Worms und Heidelberg zu,
da sie nicht nur die Herrschaftsmittelpunkte an Rhein, Main und Neckar waren, sondern auch die Region prägende
Stätten künstlerischer Produktion gewesen sein müssen3.

Geschichtliche Voraussetzungen und Zusammenhänge in ihren künstlerischen Wechselwirkungen
Als König Pippin der Jüngere im Jahr 768 starb, ging die Herrschaft im Fränkischen Reich auf seine Söhne Karl (den
Großen) und Karlmann über. Letzterer fand einen frühen Tod, sodass Karl bereits 771 zum alleinigen Herrscher auf-
stieg. Da das Reich, wie Pippin es seinen Söhnen hinterlassen hatte, in seinen Grenzen nicht gefestigt war, war Karl
von Anfang an darum bemüht, es in verschiedenen, vor allem gegen die Sachsen (772-804), aber auch gegen die Lan-
gobarden, Bayern und Awaren geführten Feldzügen und Kriegen an seinen südlichen, südöstlichen und nordöstlichen
Rändern abzusichern bzw. zu erweitern.
Das Land an Rhein und Main gewann dabei insofern an Bedeutung, als es von König Karl dem Großen zu einem
Stützpunkt seiner Herrschaft ausgebaut wurde. In Worms, Ingelheim, Mainz(?) und Frankfurt am Main, wo ent-
weder schon Pfalzen bestanden oder - wie z.B. in Ingelheim - zu bauen begonnen wurden, hielt der König sich nun
häufig auf4. Hier berief er Hoftage und Synoden ein, hier feierte er mehrmals die kirchlichen Hochfeste Weihnachten,
Ostern und Pfingsten, von hier aus entsandte er Truppen in die Grenzgebiete des Reichs. Was die Städte Worms und
Mainz betrifft (Textabb. 1, 3), so profitierten sie nicht nur von ihrer günstigen Lage am Rhein als der Nord-Süd-Achse
und an Fernstraßen, die den Mittelrhein einerseits mit dem alten fränkischen Kernland im Westen und andererseits
mit den hessisch-thüringischen Gebieten im Osten verbanden, sondern auch von ihrem fruchtbaren Umland, das die
Versorgung des Königs, des Hofes und der gelegentlich zahlreichen Gäste gewährleisten konnte. An herrschaftlichen

3 Die folgende Darstellung stützt sich im Allgemeinen auf die Über-
blickswerke von Demandt 1980, Dotzauer 1992 und Schaab 2i999-
Darüber hinaus sind für die Geschichte der Stadt Mainz zum einen
die vorzüglichen Arbeiten von Falck 1972, Falck 1973 und Brück
1972 zu nennen und zum anderen im Sammelband Dumont/Scherf/
Schütz 1998 folgende Beiträge zu erwähnen: Franz Staab, Mainz
vom 5. Jahrhundert bis zum Tod des Erzbischofs Willigis (407-1011),
S. 71-107; Ludwig Falck, Die erzbischöfliche Metropole 1011-1244,
S. m-137; ders., Die Freie Stadt in ihrer Blütezeit 1244-1328, S. 143—
170; Michael Matheus, Vom Bistumsstreit bis zur Mainzer Stiftsfehde:
Zur Geschichte der Stadt Mainz 1328-1459, S. 171-204; Kai-Michael
Sprenger, Die Mainzer Stiftsfehde 1459-1463, S. 205-225; Wolfgang
Dobras, Die kurfürstliche Stadt bis zum Ende des Dreißigjährigen
Krieges (1462-1648), S. 227-263. Für Worms sei auf den Sammelband
Bönnen 2005 hingewiesen, darin bes.: Thomas KoHL/Franz J. Fel-
ten, Worms - Stadt und Region im frühen Mittelalter von 600-1000,
S. 102-132; Gerold Bönnen, Die Blütezeit des hohen Mittelalters: Von
Bischof Burchard zum Rheinischen Bund (1000-1254), S. 133-179;
ders., Zwischen Bischof, Reich und Kurpfalz: Worms im späten Mit-

telalter (1254-1521), S. 193-261. Auf Nachweise im Detail wird in der
Regel verzichtet, gleichermaßen auf Literaturhinweise zu den Biogra-
fien einzelner Herrscher und Bischöfe.
4 Vgl. hierzu Adolf Gauert, Zum Itinerar Karls des Großen, in: Karl
der Große. Lebenswerk und Nachleben, I: Persönlichkeit und Ge-
schichte, hrsg. von Helmut Beumann, Düsseldorf 1965, S. 307-321. Zu
den erwähnten Pfalzen s. u.a. Peter Classen, Bemerkungen zur Pfal-
zenforschung am Mittelrhein, in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge
zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung, I (Veröffent-
lichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 11/1), Göttingen
1963, S. 75-96, und Walter Schlesinger, Die Pfalzen im Rhein-
Main-Gebiet, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 16, 1965,
S. 487-504. Zu Ingelheim s. bes. Holger Grewe, Die Königspfalz zu
Ingelheim am Rhein, in: 799 - Kunst und Kultur der Karolingerzeit.
Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Beiträge zum Katalog
der Ausstellung Paderborn 1999, hrsg. von Christoph Stiegemann
und Matthias Wemhoff, Mainz 1999, S. 142-151 (mit weiteren Litera-
turangaben); eine umfassende Publikation zu den Grabungen seit 1993
ist in Vorbereitung.
 
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