KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
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dessen in direkter Verknüpfung mit dem Heidelberger Hof geführte Politik auf eine Stärkung der bischöflichen Posi-
tion abzielte und folglich gegen die auf ihre Freiheit bestehende Stadt gerichtet war. So war zwar auch seine Amtszeit
von vielen innerstädtischen Auseinandersetzungen geprägt, doch umgekehrt prägten diese Auseinandersetzungen das
Stadtbild, da der Rat den nordöstlich des Domes gelegenen Gebäudekomplex der »Münze« von dem Wormser Maler
Nikolaus Nievergalt 1493 »in repräsentativer und aussagekräftiger Weise mit Monumentalmalereien und Inschriften
als Demonstration des eigenständigen Herrschaftsanspruchs« versehen ließ58. Die Bauleistungen Bischof Johanns be-
standen im Neubau des Domkreuzgangs (1484ff.) und in der Vollendung der Ägidius-Kapelle seines Vorgängers, des
Bischofs Reinhard von Sickingen59. In den Jahren 1495 und U21 wurde Worms zum Schauplatz zweier geschichtlich
bedeutsamer Reichstage, wobei Letzterer mit dem Auftritt des Reformators Martin Luther vor König Karl V. hier als
Zäsur stehen kann.
Erhaltenes und Verlorenes - Versuch einer Abwägung
Die Geschichte der mittelalterlichen Glasmalerei in Rhein- und Südhessen ist im Grunde die Geschichte eines großen
Verlustes. Die wenigen Kirchen, in denen Glasmalereien - oft bruchstückhaft genug - in situ erhalten oder aus denen
Glasmalereien in Sammlungen abgewandert sind, werden bei Weitem übertroffen von Bauten, die ihre mittelalter-
liche Glasmalereiausstattung vollständig verloren haben. Aber auch die Anzahl der wenigen überlieferten Glasma-
lereistandorte wird sich kaum an der Zahl solcher Standorte messen lassen können, über die nichts bekannt ist. Die
Dunkelziffer ist so hoch, dass eine Quantifizierung unmöglich ist.
Für die Verluste, die bereits im Mittelalter einsetzten und gelegentlich bis in die Gegenwart reichen, gibt es eine ganze
Reihe von Ursachen; orts- und gebietsweise ist sie besonders lang. Wenn nicht überhaupt Bauten teilweise oder ganz
neu errichtet worden sind, was in der Regel zur Entsorgung vorhandener Bestände geführt hat (s. z.B. Wixhausen,
Pfarrkirche, S. 436-438, und Altenstadt, Kloster Engelthal, Nachträge S. 491)60, dann haben zumindest umfassende
Erneuerungen bestehender Bauten vielerorts den Ersatz alter Glasmalereien durch zeitgemäße und/oder helle Farb-
oder Blankverglasungen begünstigt: In Worms ist im Dom eine Verneuung des mittleren Fensters des Ostchores
bereits für die Mitte des 13. Jahrhunderts zu erschließen (s. Anhang S. 489); in Mainz scheint der Dom im 16. Jahrhun-
dert nicht nur seine Erstverglasung des 13. Jahrhunderts verloren zu haben, sondern auch die Fenster der südlichen
Kapellenreihe seines Langhauses müssen damals in Teilen erneuert worden sein (s. Anhang S. 481); in Michelstadt
führten notwendige Erneuerungsarbeiten am Chor zu dessen Neuverglasung 1543 (s. S. 195E). Während der Frühen
Neuzeit, vor allem im 17./18. Jahrhundert, mehren sich die Nachrichten, dass Kirchen »aufgehellt« worden sind, sei
es durch die Vergrößerung von Fenstern wie in Alsbach (s. S. 73), sei es durch die Entfernung der Maßwerke wie in
Michelstadt, Beerfelden und Babenhausen (s. S. 83, 197, Anhang S. 476) oder sei es durch den Austausch älterer Vergla-
sungen gegen barocke Neuschöpfungen wie in den Kirchen St. Quintin und Reichklara in Mainz (s. Anhang S. 484E,
Anm. 65, und S. 485); die Neuverglasung des Mainzer Domes unter Erzbischof Johann F. K. von Ostein (1743-1763)
dürfte hier einzureihen sein61. Aber auch Brand-, Natur- und sonstige Katastrophen haben Zerstörungen von Glas-
malereien verursacht: In Mainz, heißt es, sollen im Jahr 1349 in den durch die Judenpogrome ausgelösten Bränden die
kostbaren Fenster der Kirche St. Quintin untergegangen sein (s. Anhang S. 485); in Armsheim scheint im November
1859 ein »furchtbares Hagelwetter« Fenster zerstört zu haben (s. S. 75); in Mainz wiederum muss die Explosion des als
Pulvermagazin dienenden Martinsturms am Gautor im November 1857 von so verheerender Wirkung gewesen sein,
dass nicht nur zahlreiche Menschen den Tod fanden, sondern auch Fenster in vielen Kirchen der Stadt der Druck-
welle zum Opfer fielen62. Die größten Verluste sind in der Summe indes durch mutwillige Zerstörungen entstan-
des Hl. Georg entstanden (um 1290-1310/20); vgl. Anhang S. 489. An-
sonsten ist an noch erhaltenen gotischen Bauten in Worms lediglich die
ehern. Liebfrauen-Stiftskirche zu nennen, die um 1300 begonnen und
erst 1465 vollendet wurde; Spille/Böcher 2005, S. 758-760. Für die
abgegangenen gotischen Bauten ist die Überlieferung schlecht, sodass
sie hier übergangen werden können.
5° Bönnen, Blütezeit, 2005 (wie Anm. 3), S. 242 und S. 887, Anm. 273.
Vgl. auch Susan Tipton, Res publica bene ordinata. Regentenspiegel
und Bilder vom guten Regiment. Rathausdekorationen in der Frühen
Neuzeit (Studien zur Kunstgeschichte 104), Hildesheim 1996, passim,
bes. S. 476-481.
59 Zum ehemaligen Wormser Domkreuzgang und seiner Ausstattung
s. Rudolf Kautzsch, in: Kautzsch 1938, I, S. 228-230, und Otto
Schmitt, ebd. S. 275-296, III, Taf. 108-124.
60 Gelegentlich ist es aber auch zur Übertragung vorhandener Ein-
zelscheiben aus alten in neue Bauten gekommen, so nachweislich in
Hähnlein und Oberrod (s. S. 167, Nachträge S. 493).
61 Vgl. Schaab, II, 1844, S. 77.
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dessen in direkter Verknüpfung mit dem Heidelberger Hof geführte Politik auf eine Stärkung der bischöflichen Posi-
tion abzielte und folglich gegen die auf ihre Freiheit bestehende Stadt gerichtet war. So war zwar auch seine Amtszeit
von vielen innerstädtischen Auseinandersetzungen geprägt, doch umgekehrt prägten diese Auseinandersetzungen das
Stadtbild, da der Rat den nordöstlich des Domes gelegenen Gebäudekomplex der »Münze« von dem Wormser Maler
Nikolaus Nievergalt 1493 »in repräsentativer und aussagekräftiger Weise mit Monumentalmalereien und Inschriften
als Demonstration des eigenständigen Herrschaftsanspruchs« versehen ließ58. Die Bauleistungen Bischof Johanns be-
standen im Neubau des Domkreuzgangs (1484ff.) und in der Vollendung der Ägidius-Kapelle seines Vorgängers, des
Bischofs Reinhard von Sickingen59. In den Jahren 1495 und U21 wurde Worms zum Schauplatz zweier geschichtlich
bedeutsamer Reichstage, wobei Letzterer mit dem Auftritt des Reformators Martin Luther vor König Karl V. hier als
Zäsur stehen kann.
Erhaltenes und Verlorenes - Versuch einer Abwägung
Die Geschichte der mittelalterlichen Glasmalerei in Rhein- und Südhessen ist im Grunde die Geschichte eines großen
Verlustes. Die wenigen Kirchen, in denen Glasmalereien - oft bruchstückhaft genug - in situ erhalten oder aus denen
Glasmalereien in Sammlungen abgewandert sind, werden bei Weitem übertroffen von Bauten, die ihre mittelalter-
liche Glasmalereiausstattung vollständig verloren haben. Aber auch die Anzahl der wenigen überlieferten Glasma-
lereistandorte wird sich kaum an der Zahl solcher Standorte messen lassen können, über die nichts bekannt ist. Die
Dunkelziffer ist so hoch, dass eine Quantifizierung unmöglich ist.
Für die Verluste, die bereits im Mittelalter einsetzten und gelegentlich bis in die Gegenwart reichen, gibt es eine ganze
Reihe von Ursachen; orts- und gebietsweise ist sie besonders lang. Wenn nicht überhaupt Bauten teilweise oder ganz
neu errichtet worden sind, was in der Regel zur Entsorgung vorhandener Bestände geführt hat (s. z.B. Wixhausen,
Pfarrkirche, S. 436-438, und Altenstadt, Kloster Engelthal, Nachträge S. 491)60, dann haben zumindest umfassende
Erneuerungen bestehender Bauten vielerorts den Ersatz alter Glasmalereien durch zeitgemäße und/oder helle Farb-
oder Blankverglasungen begünstigt: In Worms ist im Dom eine Verneuung des mittleren Fensters des Ostchores
bereits für die Mitte des 13. Jahrhunderts zu erschließen (s. Anhang S. 489); in Mainz scheint der Dom im 16. Jahrhun-
dert nicht nur seine Erstverglasung des 13. Jahrhunderts verloren zu haben, sondern auch die Fenster der südlichen
Kapellenreihe seines Langhauses müssen damals in Teilen erneuert worden sein (s. Anhang S. 481); in Michelstadt
führten notwendige Erneuerungsarbeiten am Chor zu dessen Neuverglasung 1543 (s. S. 195E). Während der Frühen
Neuzeit, vor allem im 17./18. Jahrhundert, mehren sich die Nachrichten, dass Kirchen »aufgehellt« worden sind, sei
es durch die Vergrößerung von Fenstern wie in Alsbach (s. S. 73), sei es durch die Entfernung der Maßwerke wie in
Michelstadt, Beerfelden und Babenhausen (s. S. 83, 197, Anhang S. 476) oder sei es durch den Austausch älterer Vergla-
sungen gegen barocke Neuschöpfungen wie in den Kirchen St. Quintin und Reichklara in Mainz (s. Anhang S. 484E,
Anm. 65, und S. 485); die Neuverglasung des Mainzer Domes unter Erzbischof Johann F. K. von Ostein (1743-1763)
dürfte hier einzureihen sein61. Aber auch Brand-, Natur- und sonstige Katastrophen haben Zerstörungen von Glas-
malereien verursacht: In Mainz, heißt es, sollen im Jahr 1349 in den durch die Judenpogrome ausgelösten Bränden die
kostbaren Fenster der Kirche St. Quintin untergegangen sein (s. Anhang S. 485); in Armsheim scheint im November
1859 ein »furchtbares Hagelwetter« Fenster zerstört zu haben (s. S. 75); in Mainz wiederum muss die Explosion des als
Pulvermagazin dienenden Martinsturms am Gautor im November 1857 von so verheerender Wirkung gewesen sein,
dass nicht nur zahlreiche Menschen den Tod fanden, sondern auch Fenster in vielen Kirchen der Stadt der Druck-
welle zum Opfer fielen62. Die größten Verluste sind in der Summe indes durch mutwillige Zerstörungen entstan-
des Hl. Georg entstanden (um 1290-1310/20); vgl. Anhang S. 489. An-
sonsten ist an noch erhaltenen gotischen Bauten in Worms lediglich die
ehern. Liebfrauen-Stiftskirche zu nennen, die um 1300 begonnen und
erst 1465 vollendet wurde; Spille/Böcher 2005, S. 758-760. Für die
abgegangenen gotischen Bauten ist die Überlieferung schlecht, sodass
sie hier übergangen werden können.
5° Bönnen, Blütezeit, 2005 (wie Anm. 3), S. 242 und S. 887, Anm. 273.
Vgl. auch Susan Tipton, Res publica bene ordinata. Regentenspiegel
und Bilder vom guten Regiment. Rathausdekorationen in der Frühen
Neuzeit (Studien zur Kunstgeschichte 104), Hildesheim 1996, passim,
bes. S. 476-481.
59 Zum ehemaligen Wormser Domkreuzgang und seiner Ausstattung
s. Rudolf Kautzsch, in: Kautzsch 1938, I, S. 228-230, und Otto
Schmitt, ebd. S. 275-296, III, Taf. 108-124.
60 Gelegentlich ist es aber auch zur Übertragung vorhandener Ein-
zelscheiben aus alten in neue Bauten gekommen, so nachweislich in
Hähnlein und Oberrod (s. S. 167, Nachträge S. 493).
61 Vgl. Schaab, II, 1844, S. 77.