Metadaten

Kosina, Elena; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Niedersachsen: ohne Lüneburg und die Heideklöster — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52867#0152
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
CHORFENSTER nord II (MATERNIANUSFENSTER)

U1

nicht - wie gewöhnlich - das Fenster unten waagrecht
abschließen86. Dieses Aufbauprinzip betont die vertikale
Dynamik der Komposition im Vergleich zu der biederen
Gleichmäßigkeit des Achsenfensters. Als eine Beson-
derheit des Szenenaufbaus ist hier die Anwendung des
simultanen Darstellungsprinzips in den Feldern 2b »Be-
rufung und Bischofsweihe des Hl. Maternianus« und 3b
»Bekehrung des afrikanischen Magiers« hervorzuheben
(Fig. 117). Diese Darstellungsweise wurde seit ottonischer
Zeit mit Vorliebe in der Wandmalerei gepflegt und war im
13. Jahrhundert immer noch in Gebrauch. Auch in der
Buchmalerei dieser Zeit kommt es gelegentlich zu Simul-
tanbildern, wie etwa in einem Psalterium Straßburger(?)
Provenienz aus der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts, oder
im gegen 1260 anzusetzenden Mainzer Evangeliar, jedoch
sind sie für die Glasmalerei dieser Zeit im deutschspra-
chigen Raum recht ungewöhnlich87. Gleichwohl finden
sich einige Simultandarstellungen im bereits erwähnten,
etwa 30 Jahre jüngeren Clemensfenster in St. Kunibert
in Köln, die im Hinblick auf die wechselseitigen Bezie-
hungen zwischen dem Rheinland und Niedersachsen von
Bedeutung sind. Allerdings tragen der Weihbischof der
Kölner Taufszene sowie der Hl. Clemens in den Szenen
der Verurteilung (Fig. 13) und des Martertodes absolut
identische Kleidung: als Voraussetzung ihrer Erkenn-
barkeit, die unbedingt zu den Grundprinzipien des Si-
multanbildes gehört. Doch gerade dieses Prinzip wird in
der Bückener Maternianus-Legende aus unerfindlichen
Gründen vernachlässigt, was zu einer eigenartigen Un-
eindeutigkeit der Bilderzählung führt.
Durch die unruhige, zickzackartige Anordnung, die
ständigen Farbwechsel und durch die an die Tradition der
Helmarshausener Buchmalerei erinnernde Kleinteilig-
keit, Ornamentfreude und Vielschichtigkeit der Hinter-
gründe wird eine sehr bunte, plastische Gesamtwirkung
erzeugt. Zur ornamentalen Belebung der Seitenbahnen
tragen nicht zuletzt die blauen Hintergründe der Me-
daillons bei, die im Wechsel von Zeile zu Zeile einmal
spiralförmige Rankenmuster und einmal Rautenteppiche
mit Vierblattfüllung zeigen. Das Formengut des Fen-
sters greift hiermit wiederum auf traditionelle, nahezu
überholte ornamentale Motive zurück, die dennoch in
der mutmaßlich niedersächsischen Kunstproduktion auf
Gotland noch im ausgehenden 13. Jahrhundert mit Vor-
Beispiele simultaner Darstellungen finden sich in der französischen
Glasmalerei des 13. Jh.: etwa beim Tanz der Salome in der Kathedrale
zu Bourges (Baie 22, um 1210/15); s. Jean Verrier, La cathedrale de
Bourges et ses vitraux, Paris o J., PI. XXL


Fig. 118. Bischofsweihe des Hl. Materinanus. Bücken, Stiftskirche,
Chor n II, 2b (Ausschnitt).


Fig. 119. Assistenzfigur der Bischofs weihe des Hl. Materinanus.
Bücken, Stiftskirche, Chor n II, 2b (Ausschnitt).
 
Annotationen