Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dehio, Georg; Bezold, Gustav von
Die kirchliche Baukunst des Abendlandes (Band 1) — Stuttgart, 1892

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11368#0540
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
jg Zweites Buch: Der romanische Stil.

erstickt worden und insonderheit gehörte die Kunst zu den Gebieten,
auf denen sie sich, wir wissen in welchem Grade, unbehindert nach
eigener Art und Neigung bewegen durften. Das Nationalprinzip auch
hierin zu negieren, gleichförmige internationale Normen auch in der
Baukunst durchzuführen, war den mönchischen Reformorden, die man
überall als eifrigste Vorkämpfer des Unitarismus kennt, vorbehalten.
Den Anfang machte, zwar noch in ziemlich engen Grenzen sich
haltend, die Congregation von Cluny. Wir haben früher gesehen,
wie in Deutschland, Italien, der Normandie gewisse Eigentümlich-
keiten der allgemeinen Anlage in Erinnerung an das burgundische
Zentralkloster von dessen Anverwandten gern wiederholt wurden •
eine strengere Verpflichtung dazu war doch nicht auferlegt, wie denn
die fraglichen Baueigentümlichkeiten zu den wesentlichen Zielen der
Congregation in keiner Beziehung standen.

Um so deutlicher tritt das in dem jüngeren Orden der Cister-
cienser hervor. Er ist der erste, der das Verhältnis zur Kunst nach
dem Masse seiner religiös-sittlichen Gesamtanschauung zur Erörterung
bringt, der feste Grundsätze für die Praxis aufstellt, der die Beob-
achtung derselben mit Strenge überwacht. Baugeschichtlich betrachtet
ist der Cistercienserstil ein Sprössling des burgundischen Provinzial-
stiles und somit der jüngere Bruder des cluniacensischen. In wichtigen
Zügen, namentlich im Grundplan, zum Teil auch in der Konstruktion,
tritt die Eamilienähnlichkeit sehr kenntlich hervor; aber der physio-
gnomische Ausdruck ist, wie der innewohnende Geist, ein anderer, ja
diametral entgegengesetzter. Man muss sich erinnern: in der Be-
kämpfung Clunys ist Cisteaux gross geworden; die alten Benediktiner,
ebenso die Männer von Cluny, so hiess es, seien in Hoffart und
Ueppigkeit versunken; das Mönchtum müsse gereinigt, mit der so oft
umsonst ausgerufenen Forderung der Rückkehr zur alten Strenge und
Einfachheit müsse endlich ganzer Ernst gemacht werden. Wunderbar,
wie asketische Glut mit nüchterner Verständigkeit und thätigem Nütz-
lichkeitssinn im Cisterciensertum in eins verschmolzen. Die Losung
ist: Entsagung und Arbeit; und zwar harte körperliche Arbeit in der
reinen Urform als Landbau. Hinweg mit der Wissenschaft — sie ver-
weichlicht und verführt den Geist! Hinweg vor allem mit der Kunst!
Jene glänzende, von echtester Schönheitsbegeisterung getragene Archi-
tektur, die wir unter Führung Clunys seit dem Ende 11. Jahrhunderts
in Burgund sich erheben sahen (Kap. IX), ist in den Augen der Cister-
cienser ein ganz und gar verwerflicher Prunk und Pomp, nicht minder
 
Annotationen