Über Denkmalpflege und moderne Kunst.
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die Anschauung durch, daß die Forderung der Stileinheit ein Irrtum sei, dem
eine ganze Masse von Denkmälern zum Opfer gefallen war. Es setzte sich
die Überzeugung fest, daß alle Stilarten ihre Berechtigung haben, daß die
verschiedensten Stilerzeugnisse nebeneinander zu dulden seien, so wie sie im
Laufe der Jahrhunderte sich in einem Raume zusammengefunden. Und aus
dieser gleichmäßigen Wertschätzung aller Stilarten rang sich endlich die
Erkenntnis durch, daß überhaupt nicht das Restaurieren, sondern das Konser-
vieren das Ziel der Denkmalpflege sei.
Aber es ist uns doch nur in verhältnismäßig wenigen Fällen vergönnt,
uns auf eine lediglich konservierende, vor allem auch das Auswechseln völlig
verwitterter Werkstücke, die Behebung von Schäden aller Art bezweckende
Tätigkeit, die heute zu einer förmlichen Kunst entwickelt ist, zu beschränken.
In den meisten alten Bauten, welche noch in Benutzung stehen, muß außerdem
auch den Bedürfnissen der Gegenwart Rechnung getragen werden. Eine
Kirche, ein Rathaus, ein bürgerliches Haus ist kein Museumsgegenstand, der
sorgfältig konserviert und vor allen Veränderungen bewahrt werden kann.
Alle diese Bauten sind, wenn sie noch ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung
dienen, lebendige Organismen. Die gegenwärtig so rasch wachsende Be-
völkerung bedingt die Vergrößerung zahlreicher Kirchen. Der religiöse Sinn
will und muß sich in der Anschaffung neuer Kunstwerke in den alten Gottes-
häusern betätigen. Ähnlich müssen oft unsere Rathäuser erweitert werden.
Die Bürgerschaft erhebt mit vollem Recht den Anspruch, nach dem Beispiele
der Vorfahren zur ÄVrschönerung ihrer öffentlichen Gebäude nach eigenem
Geschmacke beizutragen. Und der Privatmann will sein altes Haus für die
neuzeitlichen Bedürfnisse adaptieren. Wo Leben ist, ist kein Platz für unge-
störtes Beharren.
Kurz, bei der großen Mehrzahl unserer Baudenkmäler kommen wir
über die Zutat von Heuern, über Erweiterungen, Anbauten, über Heu-
schöpfungen, nicht hinweg. Bei diesen neuen Zutaten halten wir gewöhnlich
noch ausschließlich an der Nachahmung der alten historischen Stile fest.
Wir erweitern z. B. eine gotische Kirche in gotischem Stil, wir bauen an
ein romanisches Gotteshaus eineu romanischen Turm, wir führen den Anbau
einer Barockkirche in barocken Formen aus, wir stellen in eine gotische
Kirche gotische, in eine Rokokokirche Rokokoaltäre, wir verlangen für eine
gotische Kapelle Glasmalereien, die nicht nur in der Farbenwirkung, sondern
auch in der Zeichnung der oder jener gotischen Stilphase folgen. Freilich,
wo der alte Bau, wie so häufig, selbst keine Stileinheit zeigt, ergibt sich bei
diesem Verfahren manches Kopfzerbrechen. Aber wir pflegen trotzdem
stets einen Ausweg zu finden; denn wir müssen ihn finden, da ein Entwerfen
in neuen Formen oder in völlig freier Verwendung alter Formen verpönt
ist. So schaffen wir in derselben Weise wie vor fünfzig Jahren weiter, im
Geiste des Gebotes der Stileinheit, das wir doch bereits als irreführend
erkannt haben. Hur in der Art der Ausführung unterscheiden wir uns von
der früheren: wir legen viel mehr Wert auf Treue der Stilimitation als die
vorangehende Generation. Wir verfügen über eine intimere Kenntnis der
alten Stile und der alten Denkmäler. Wir verfolgen die Stilentwickelungen
bis in die feinen und feinsten Unterschiede und Abwandlungen in den einzelnen
Jahrzehnten, in den mannigfachen Schulen, in den verschiedenen Ländern,
ja in den mancherlei Landschaften und Gauen. Die Möglichkeit, rasch und
Tag für Denkmalpflege. I. Band. 5
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die Anschauung durch, daß die Forderung der Stileinheit ein Irrtum sei, dem
eine ganze Masse von Denkmälern zum Opfer gefallen war. Es setzte sich
die Überzeugung fest, daß alle Stilarten ihre Berechtigung haben, daß die
verschiedensten Stilerzeugnisse nebeneinander zu dulden seien, so wie sie im
Laufe der Jahrhunderte sich in einem Raume zusammengefunden. Und aus
dieser gleichmäßigen Wertschätzung aller Stilarten rang sich endlich die
Erkenntnis durch, daß überhaupt nicht das Restaurieren, sondern das Konser-
vieren das Ziel der Denkmalpflege sei.
Aber es ist uns doch nur in verhältnismäßig wenigen Fällen vergönnt,
uns auf eine lediglich konservierende, vor allem auch das Auswechseln völlig
verwitterter Werkstücke, die Behebung von Schäden aller Art bezweckende
Tätigkeit, die heute zu einer förmlichen Kunst entwickelt ist, zu beschränken.
In den meisten alten Bauten, welche noch in Benutzung stehen, muß außerdem
auch den Bedürfnissen der Gegenwart Rechnung getragen werden. Eine
Kirche, ein Rathaus, ein bürgerliches Haus ist kein Museumsgegenstand, der
sorgfältig konserviert und vor allen Veränderungen bewahrt werden kann.
Alle diese Bauten sind, wenn sie noch ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung
dienen, lebendige Organismen. Die gegenwärtig so rasch wachsende Be-
völkerung bedingt die Vergrößerung zahlreicher Kirchen. Der religiöse Sinn
will und muß sich in der Anschaffung neuer Kunstwerke in den alten Gottes-
häusern betätigen. Ähnlich müssen oft unsere Rathäuser erweitert werden.
Die Bürgerschaft erhebt mit vollem Recht den Anspruch, nach dem Beispiele
der Vorfahren zur ÄVrschönerung ihrer öffentlichen Gebäude nach eigenem
Geschmacke beizutragen. Und der Privatmann will sein altes Haus für die
neuzeitlichen Bedürfnisse adaptieren. Wo Leben ist, ist kein Platz für unge-
störtes Beharren.
Kurz, bei der großen Mehrzahl unserer Baudenkmäler kommen wir
über die Zutat von Heuern, über Erweiterungen, Anbauten, über Heu-
schöpfungen, nicht hinweg. Bei diesen neuen Zutaten halten wir gewöhnlich
noch ausschließlich an der Nachahmung der alten historischen Stile fest.
Wir erweitern z. B. eine gotische Kirche in gotischem Stil, wir bauen an
ein romanisches Gotteshaus eineu romanischen Turm, wir führen den Anbau
einer Barockkirche in barocken Formen aus, wir stellen in eine gotische
Kirche gotische, in eine Rokokokirche Rokokoaltäre, wir verlangen für eine
gotische Kapelle Glasmalereien, die nicht nur in der Farbenwirkung, sondern
auch in der Zeichnung der oder jener gotischen Stilphase folgen. Freilich,
wo der alte Bau, wie so häufig, selbst keine Stileinheit zeigt, ergibt sich bei
diesem Verfahren manches Kopfzerbrechen. Aber wir pflegen trotzdem
stets einen Ausweg zu finden; denn wir müssen ihn finden, da ein Entwerfen
in neuen Formen oder in völlig freier Verwendung alter Formen verpönt
ist. So schaffen wir in derselben Weise wie vor fünfzig Jahren weiter, im
Geiste des Gebotes der Stileinheit, das wir doch bereits als irreführend
erkannt haben. Hur in der Art der Ausführung unterscheiden wir uns von
der früheren: wir legen viel mehr Wert auf Treue der Stilimitation als die
vorangehende Generation. Wir verfügen über eine intimere Kenntnis der
alten Stile und der alten Denkmäler. Wir verfolgen die Stilentwickelungen
bis in die feinen und feinsten Unterschiede und Abwandlungen in den einzelnen
Jahrzehnten, in den mannigfachen Schulen, in den verschiedenen Ländern,
ja in den mancherlei Landschaften und Gauen. Die Möglichkeit, rasch und
Tag für Denkmalpflege. I. Band. 5