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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 15.1994

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Funke, Rainer: Die Rückkehr des Narzismus - Entwickungstendenzen in der Wirkung von Design auf die Dynamik des Normengefüges menschlicher Sozialisation
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https://doi.org/10.11588/diglit.31839#0031

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Rainer Funke

Die Rückkehr des
Narzismus -

Entwicklungstendenzen in
der Wirkung von Design
auf die Dynamik
des Normengefüges
menschlicher Sozialisation

" Was soll mir schon die ganze Ethik ? ! "
kann man vielleicht sagen, schon gar Ethik in
Bezug auf Design !

Design soll vor allem das Leben handhabbar
und angenehm machen oder die Welt um uns
angenehm erscheinen lassen; kauf- und
verkaufsgerecht.

Nun, und wenn "Ethik" gerade mal noch erträg-
lich ist, denn schließlich ist es ein Begriff, der
Objektivierbarkeit im glatten wissenschaftlichen
Sinne intendiert, von "Moral" zu sprechen, das
geht nun wirklich nicht mehr, das ist nun völlig
unzumutbar, altmodisch, uncool.

Doch nur um Moral geht es bei der Ethik.

"Laßt mich in Ruhe mit der Moral! ", auch mir
geht es so, daß ich empfindlich reagiere, wenn
von mir das Befolgen anerkannter Verhaltens-
grundsätze verlangt wird. Und wenn's nur die
Krawatte ist, die ich ablehne zu tragen , ein be-
stimmter Habitus im Gespräch mit seriösen
Geschäftspartnern - ganz ähnlich, wie früher das
FDJ-Hemd.

Ich laß mir das nicht gern vorschreiben, ich
wehre mich gegen einen Rollendruck, der mich
zu vereinnahmen sucht.

Furcht vor Vereinnahmung, das ist wohl eine
zentrale Sozialisationskraft in unserer Zeit, ge-
lebt im Paradigma der Emanzipation, die immer
eine solche von Zwängen des einzelnen Men-
schen ist.

Freie Selbstbestimmung, einer der höhsten
Werte unserer bürgerlichen Zivilisation, ist
gleichzeitig immer antimoralisch in ihrer Wahr-
nehmung durch den einzelnen Menschen.
Antimoralisch im Bezug auf bestehende
verinnerlichte und explizierte Normen und Nor-
mensysteme des Verhaltens und der gegensei-
tigen Verhaltenserwartungen sowie deren
wechselseitige Abhängigkeiten.

Das ist kein Widerspruch dazu, daß sie in ihrer
Umwertung zufällig oder intendiert wiederum
normenkonstitutiv wirken kann.

Die crux besteht nun darin, daß eben diese
Werte Ansprüchlichkeit von moralischer Quali-
tät erheben und erheben müssen, um sozial
wirksam zu sein. Es verbreitet sich eine Moral
der Amoralität.

Es wird aus:

"Du sollst andere lieben !"

"Du darfst Dich selbst lieben I"

"Du mußt Dich selbst lieben, und nur Dich!"

Individuum und Gesellschaftlichkeit:

Die Überwindung eines ursprünglichen, antiso-
zialen Egoismus wird überwunden von einem
asozialen Narzismus als Sozialisationsprinzip.
Das scheint ein Widerspruch in sich zu sein.

Die Suche nach dem gleichen im anderen ver-
ebbt.

Gleichgültigkeit statt bewußt tolerierendem Ein-
beziehen des Anderen ins Eigene des Erlebens.
Man wirbt, kitzelnde Erotik ahnend:

"L'egoiste".

"Karriere" als Ausschlußverhältnis zwischen
Menschen hat seinen dumpfen Ton der Unge-
bührlichkeit einer Ellbogen-Konkurrenz verloren.

Gleichrichtung von sozialen Strömen, Mo-
tivations- und Handlungskoordination unter
antizipatorischen Prämissen, Vernetzung sozia-
ler Wirklichkeit ist so wiederum gewährleistet.
Der Individualanspruch relativiert sich unter dem
Zwang seiner obersten Priorität. Die Revolte
gegen die Moral zur Vermeidung der Anstren-
gung einer Selbstausrichtung, Disziplinierung
nach der Norm ist selbst zur Norm geworden,
die nicht minder zwingend ihre Saugnäpfe auf
unsere Seelen legt. Und auch diese Anstren-

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