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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 7 (1. Januarheft 1916)
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Schumann, Wolfgang: Wie's ein Russe ansieht
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0038

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bißchen Liberalismus eines Lifschitz „gelernt" haben. Keinen ubleren Dienst
^onnte der wohlmeinende Verfasser seinem Vaterlande leisten, als mit
diesem Buch, das die Bildungfahigkeit gewisser immer noch bildung--
durstiger Schichten Rußlands grell beleuchtet.

Wolfgang Schumann

Vom geute fürs Morgen

Wachstum

Zurn neuen Zahr

g^-ag für Tag stehn wir in der
-2-Kriegszeit vor ganz bestimmten
Aufgaben: das ist zu tun, das muß
geschafft werden. Davon wird alles
Uachdenken und alle Sorgsamkeit in
Anspruch genommen. Und so wer--
den aus Tagen Wochen, Wonate,
Iahre. Wir haben ganz vergessen,
auf uns selbst aufzumerken. Zwischen
die Arbeiten hinein schieben sich
hemmend diese oder jene Wider-
ftände; allerlei Anfähigkeit und
kleine Gesinnung schafst Reibungen
und Anlaß zu Arger und Kritik.
Aber zum neuen Iahr ist es er-
laubt, einmal den Kopf aus der Ar-
beit und dem beständigen Ningen
ums Bessermachen und Besserwerden
zu heben. Blicken wir um uns: wie
sieht denn heute die Welt für uns
aus?

Da wird uns zumute wie jeman«
dem, der in der Iugend aus Vater-
haus und Vaterstadt gezogen ist, und
els er aus der weiten Welt zurück-
kehrte, wie vertraut, aber doch eng und
klein erschien ihm alles, was er als
weit und groß im Gedächtnis trug!
Wenn wir jetzt Welt und Weltge-
schichte an uns vorüberziehen lassen,
Haben wir eine seltsame Empfindung,
Lls ob wir seit dem ersten August

gewachsen und gereift
wären.

Fern am Rande unsres Gesichts-
kreises lagen uns einst Warschau und
Wolhynien. Was wußten wir von
Litauisch Brest und Kowno? Aber
den Balkan und Kleinasien hatten
wir noch ähnliche Empfindungen wie

der Bürger im Osterspaziergang,
wenn „hinten fern in der Türkei die
Völker aufeinanderschlagen". Aber
vor einem Iahr schon marschierten
deutsche Bauern und Arbeiter über
belgisches und französisches Land und
sahen bei Ostende übers Meer. Mo-
nate weiter, und sie spannten Tele-
graphendrähte durch Kurland, bauten
Bahnen in Polen, hielten deutsche
Wacht in den Rokitnosümpfen. Auf
den Kämmen der Karpathen hatten
sie gestritten, hinabmarschiert waren
sie durch Galizien in ukrainisches
Land. Ietzt aber haben sie auch die
serbischen und albanischen Berge
unter ihre Füße genommen. Eng-
ländern und Franzosen begegnen sie
in Mazedonien. Am Meeresstrand
wachen, auf Alpengipfeln kämpfen,
in Wüsten bauen sie in einem
Krieg. Fünf Großmächte gegen sie,
sie halten sich. Sie, die nichts be-
gehrten und fürder nichts begehren,
als ihren Pflug durch den heimat-
lichen Acker zu ziehn oder die tägliche
Arbeit in der Fabrik zu tun, stehen
in eisernen Scharen in Ländern, die
noch vor Iahresfrist jenseit all ihrer
Gedanken lagen. Schon zittert man
in Agypten in der Erwartung, ihre
Tritte zu Hören. Wie klein ist uns
Europa geworden, wie groß geht der
Atem unsres Volks! Was uns vor
anderthalb Iahren als eine unströg-
liche Kühnheit erschienen wäre, das
greift man mit gelassenem Willen
an und führt es durch, als ob sich
das von selber verstünde.

Einst staunten wir über die Völ«
kerschlacht bei Leipzig. Einst erstarr-
ten wir, wenn die Väter erzählten

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