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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 7 (1. Januarheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0052

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und reicht mit seinen Füßen nicht
bis zu den Pendalen."

Das ist der erste Akt: allerlei Be-
griffsbildungen und Wortverdre-
hungen.

Die Kinder sind bekanntlich die
geboreneN) wenn auch unbewußte
Schauspieler. Nicht selten verwan-
delt ihr Nachahmungstrieb die Kin-
derstube in eine lustige Bühne.

Fritzchen hat gemerkt, wie der
Gesanglehrer vor der Partitur den
Taktstock brauchte. Als Papa zu
Hause Klavier spielt, nimmt er sei-
nen Trommelstock) legt ein Noten-
buch vor sich auf den Stuhl und
schwingt mit großer Feierlichkeit
seinen Taktstock.

Er hört jede Woche mit an, wie
Mutti dem zehnjährigen tzans fran-
zösische Vokabeln überhört. Er kann
nicht anders, er muß auch das Lern-
buch nehmen und abfragen. Er buch-
stabiert auch. Zum Beispiel: Fritz-
cheN) buchstabiere Schokolade! Fritz-
chen preßt vor Entzücken die Lippen
zusammen und versetzt: e b z.

Die zehnjährige Trude hüllt sich
rn Muttis PelZ) natürlich das Fell
nach außeN) vermummt ihr GesichL,
hängt sich ein Körbchen mit Apfeln
und Pfefferkuchen über den Arm
und tritt mit greisenhaft verstellter
und gruselig machender Stimme vor
Fritz hin: „Fritz, kannst du beten?"

Das sind Lustspielauftritte. Aber
auch ernst) ja peinlich kann der Kin-
dermund werdeN) ohne seinen Reiz
zu verlieren.

Fritz steht mit Onkel Karl am offe-
nen Fenster. Lin Offizier geht vor-
bei. Beim Anblick der Rniform blitzt
in seinem Innern die Lrinnerung
auf an ein Festspiel, das „Die Zinn-
soldaten" hieß, und er ruft laut zum
Entsetzen des Onkels: „Guten Tag,
tzerr Zinnsoldat!"

Tante Klara nimmt er ins Ge-
bet: „Tante Klara, lügen darf man
nicht. Das weiß der liebe Gott.
Tante Klara, sag mal, war der Weih-

nachtsmann heute nicht unsere
Trude?«

Im Nebenzimmer zürnt und droht
Papa dem zehnjährigen tzans. Da
öffnet sich die Tür, Fritzchen tritt
auf die Schwelle und sagt mit fester,
besänftigender Stimme: „Papa, du
sollst meinen lieben tzans nicht
hauen!"

So im dritten Akt. Niemals leere
Worte, immer tzandlungen aus
dem wirklichen, wahren, warmen
Menschenleben. Und das sind ganz
alltägliche Erlebnisse, an denen
wir das ganze Iahr hindurch
Weihnachtsfreude finden können.

PachalY

Schamn der Zeit 1

edes Wasser gibt Blasen, und wie
verschiedener Art sind sie! Dort
Luft von draußen, in Sprung und
Sturz erhascht und entlassen, dort
ein Silberperlen aus eigenem rei-
nem Wesen, dort Verwesungsgas
aus dem Sumpf. Droben verwebt
es sich leise mit der Luft, oder ver-
knistert in ihr oder steht noch eine
Weile als Schaum. Es lohnt sich
schon, dieses Flüchtige zu beachten,
wenn man das Wasser kennen will.

G

In unserm Vorort wird vom
Gemeindevorstand besorgte Butter
verkauft. In diesen Tagen gerade
ist sie ja besonders rar. Morgens
um 8 wird aufgemacht. Die Leute
stehn über den ganzen Platz in der
Reihe, Viertelstunden, halbe Stun-
den, ganze Stunden, um ein halb
Pfund Butter. And schelten. Nach-
dem er auch mitgeschimpft hat, sagt
einer: „Denken Sie mal, tzerr Nach-
bar, in Süddeutschland, in Oster-
reich und in der Schweiz sollen sie
meistens ganz ohne Butter früh-
stücken, nicht bloß jetzt, nee, nee,
überhaupt." Allgemeines Staunen
über das Nnfaßliche. „Och nein/
sagt eine Norddeutsche, „Marme-
lade is ja gewiß gut, aber

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