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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 10 (2. Februarheft 1916)
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Malzan, Richard: Vom unmusikalischen England und seiner musikalischen Heilsarmee
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Hermann, Alexander: Letten, Esten und Deutsche im Baltenland
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0172

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Witterung für alle die Lebenslust, die, aus alten Zeiten vererbt, in den
dunklen schmutzigen Gassen Ostlondons verkümmern mußte, er brauchte
ihr nur zu einem Ausdruck zu verhelfen. Und eines seiner Mittel dazu
war die Blechmusik der Heilsarmee, über die Theodor Roosevelt einmal
sagte, er liebe sie, und die einen verwöhnten tzörer wie Bernhard Shaw
einmal „vor Begeisterung fast von Sinnen" bringen konnte. ^

Malzan

Letten, Esten und Deutsche im Baltenland

F-W^ie Esten und Letten bilden fast die gesamte Bauernbevölkerung der
-drei baltischen Provinzen. Die Esten bewohnen Estland und Nord-
^^livland. Sie sind ihrer Sprache nach Angehörige der finnisch«
mongolischen Rasse, doch finden sich bei ihnen die charakteristischen kör«
perlichen Merkmale ihrer Rasse verhältnismäßig selten vertreten. Offen--
bar sind sie stark mit germanischen Elementen durchsetzt, vor allem mit
schwedischen Bauern, die in früheren Iahrhunderten große Teile der est-
ländischen Küsten und Inseln bewohnten, jetzt aber fast restlos in der
Mehrheit des estnischen Volkstums aufgegangen sind. Auch die „klei-
nen" Deutschen, alle die Knechte, Handwerker und Wirtschaftsbeamten,
die im Gefolge der deutschen Eroberer ins Land kamen, haben sich all«
mählich, als nicht zur „Herrenklasse" gehörig, mit der undeutschen Grund«
bevölkerung vermischt. Nicht zu übersehen ist endlich, daß das Gebiet
schon vor der estnischen Einwanderung (etwa im 7. Iahrhundert) nach«
weislich von germanischen Stämmen besiedelt war, deren Reste sicher im
Estentum aufgegangen sind. — Die Letten, die Bewohner Südlivlands
und Kurlands, sind reine Indogermanen, Angehörige des letto-litau«
ischen Sprachstammes; ihre Sprache steht dem Altpreußischen sehr nahe.

Aber ein halbes Iahrtausend wurde das baltische Land von seinen
deutschen Eroberern nach streng kolonialen Grundsätzen ver«
waltet, die Grenzlinie zwischen tzerrschern und Beherrschten scharf ge«
zogen, den „Andeutschen" jedes Recht auf Selbstbestimmung verwehrt.
Erst im Anfang des V- Iahrhunderts ward die Grundlage zur freien
Entwicklung des Volkes gelegt, und zwar nicht auf Veranlassung der
russischen Zentralregierung, sondern aus freiem Willen der baltischen Ritter«
schaften. Deutlich sehen wir die versprengte Kolonie unter dem Einfluß
der Ideen des deutschen Mutterlandes, wo nach den Befreiungskriegen
unter den Gebildeten eine starke volksfreundliche Strömung eingesetzt hatte.
In den Iahren ^8^7 bis t8W erfolgte in den drei Provinzen die Aufhebung
der Leibeigenschaft, und durch eine Reihe wohlüberlegter, den örtlichen Ver-
hältnissen angepaßter Agrargesetze wurde darauf den tüchtigsten Elementen
des Volkes die Möglichkeit gegeben, sich auf den dazu abgeteilten „Bauern-
ländereien" als Pächter oder Eigentümer zu wirtschaftlicher Selbständigkeit
emporzuarbeiten, während die übrige Landbevölkerung in ein gesetzlich
geregeltes Dienstverhältnis zu den Gutsbesitzern trat. Auch für die Volks«
bildung sorgten die Ritterschaften in umfassender Weise, tatkräftig unter«
stützt von der deutsch-evangelischen Landgeistlichkeit, und ihren vereinten
Bemühungen war es zu danken, daß seit dem letzten Drittel des vorigen
Iahrhunderts Analphabeten unter den Esten und Letten zu den seltenen Aus«
nahmen gehörten. Dadurch gewann die baltische Bauernschaft wirtschaft«
lich und kulturell einen gewaltigen Vorsprung in dem russischen Gesamt-
 
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