Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1916)
DOI Artikel:
Hermann, Alexander: Letten, Esten und Deutsche im Baltenland
DOI Artikel:
Gerhard, J. W.: Gibt es "Kulturvölker"?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0175

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und dann werden die „Indigenen" die harte Faust ihrer ehemaligen russü-
schen Bundesgenossen spüren; das Russentum, von dem sie durch Volks»
charakter, religiöses Bekenntnis und geschichtliche Entwicklung geschieden
sind, das ihnen völlig wesensfremde Russentum wird ihnen gewaltsam auf»
gepropft werden, — ganz gewiß nicht zu ihrem Segen. Sollten aber beim
Friedensschluß die baltischen Lande zum Siegespreis gehören, so bleiben
die Lsten und Letten in derselben Kulturluft, die sie seit vielen Iahrhun-
derten umgibt. Der bereits begonnene, nur für eine kurze Zeitspanne unter-
brochene Entwicklungsvorgang wird sich rascher vollziehen, sobald das land-
fremde Russentum mit seiner politischen Macht ausgeschosltet ist und zu-
gleich auch in die niederen sozialen Schichten ein frischer Zufluß deutschen
Blutes kommt. Neue schwere Probleme hätte die deutsche Zukunftspolitik
in diesem Grenzgebiet nicht zu lösen, gibt es doch dort schon jetzt Tausende
lettischer und estnischer Familien, die unter russischer tzerrschaft zu
überzeugten Deutschen geworden sind. Was die baltische Kolonial«
politik begonnen, hätte die deutsche Reichspolitik zu vollenden.

Noch liegen die baltischen Lande im Kriegsgebiet und die estnisch-letti-
schen Volksführer schweigen; sie warten, auf welche Seite sich die Schick-
salswage neigen wird. Viele Anzeichen aber weisen darauf hin, daß ihnen
eine Lösung willkommen wäre, die ihre tzeimat mit scharfem Schnitt von
Osteuropa trennt. Alexander Hermann

Gibt es „Kulturvölker" ?

Lin Niederländer schreibt uns:

^^hr seid Barbaren" wird den Deutschen zugerufen, nicht allein von ihren
^^Gegnern, auch vielfach von Neutralen. Darauf ist von deutscher
»^ISeite in zahlreichen Zeitungsaufsätzen, Flugschriften und Kundgebun--
gen geantwortet: „Iust wir sind ein Kulturvolk, wir streiten jetzt für
die Kultur in Europa gegen die Barbarei!"

Die hüben und drüben so schreiben und reden, gehören zur geistigen
Auslese ihrer Vaterländer, rechnen sich wenigstens selber dazu und werden
dazu gerechnet. Nnd welche haben nun recht? Irren sie etwa alle? Rich-
tiger: drücken sie sich etwa alle miteinander ungenauaus? Gibtes
denn überhaupt Kultur-„V ölker" oder Barbaren-„V ölker" in Europa?

Was ist denn ein Kulturvolk?

Deutschlands Gegner schelten die Deutschen Barbaren, weil sie erstens
die belgische Neutralität verletzt, zweitens Schandtaten an der Zivilbevöl-
kerung Belgiens verübt haben sollen und weil sie drittens Kulturwerke wie
den Dom zu Reims und die Bücherei zu Löwen ohne Zwang vernichtet
hätten. Aber angenommen, dies alles wäre erwiesen — würde es selbst
dann ein Grund sein, das ganze deutsche Volk Barbaren zu schelten?
Wenn ja: dann würde es überhaupt nur noch Barbarenvölker geben in
Europa, denn von allen Völkern lassen sich auf diese Weise ähnliche
tzandlungen aus ihrer Geschichte nachweisen.

Anderseits spricht man in Deutschland gerne von seiner Kultur mit
einem tzinweis auf Männer wie Dürer, Goethe, Schiller, Kant, Beethoven.
Stempeln aber diese Leuchten der Menschheit das heutige deutsche Volk
zu einem Kulturvolk? Dann könnte man aus entsprechenden Gründen das
heutige Spanien, das heutige Italien auch zu den höchsten Kultur-
ländern der Gegenwart rechnen. Das Frankreich und England von heute
 
Annotationen