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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 10 (2. Februarheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0180

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ausgerechnet. Eine ekelgelbe Blume
blühte aus dem Sumpfe: Eine Scha-
denversicherung setzte ein — vom
dritten Kinde ab. Der hochgemute
Springer Zufall wurde an den
Schweif eines Brauereipferdes an-
gebunden, und das leichtbeschwingte
Schleiermädchen Ohngefähr ging im
Ziegelviereck eines Gefängnishofes
jeden Tag spazieren, soviel Runden,
soviel Schritte, keine mehr und kei--
nen weniger.

Die Berechner kamen Hoch zu
Ehren. Rnd noch höher trugen sie
die Köpfe: „Gibt es etwas," riefen
sie, „das wir nicht in eine Formel
zwängen, das wir nicht mit Zahlen«
stricken knebelten und bänden?" Aber
hinter den Mauern des Gefängnis-
hofes wirbelte da ein Wort auf:
„Krieg" hieß es, „Krieg", den
könnt ihr nicht berechnen." Da schlu-
gen die Berechner nach in den Ta«
bellen: „Beim heiligen Logarithmus,
den haben wir vergessen." Und sie
warfen historische Fangnetze in die
Vergangenheit, fingen dreitausend«
dreiunddreißig Schlachten damit ein
und sotten sie und brieten sie und
dampften sie ein zu einem Mus, das
sich ungefährlich jeden Morgen auf
die Frühstücksemmel streichen ließ.
Und da meinten sie nun, sie hätten
der Erde unberechenbarsten Gesellen,
den Krieg, bezwungen und in ein
mildes AbführmitLel umgewandelt.
Doch bald erkannten sie, daß der
Krieg aus ihren Retorten längst hin«
ausgedampft war in die Welt. Dar«
auf gingen sie aufs neue, ihn zu
fangen. Paragraphen bestrichen sie
mit süßem Leim und hingen sie an
alle Bäume. „So," sagten sie,
„wenn da der Krieg durchkommt,
bleibt er hängen.«

Nun kam der Krieg. Aber hoch
über allen Wipfeln spielte er seine
mächtige eiserne Laute: „Seht euch
vor — ich bin euch nahe." Da schick«
Len sie vom Haag Fesselballons in
die Höhe. Darinnen saßen geschickte

Spieler, die sangen bestrickende inter«
nationale Weisen. Der Krieg aber
schaute von oben flüchtig in die
Körbe ihrer Fangballone. Da sah er
auf dem Boden die Handschellen
kunstfertig berechneter Verträge be«
reitliegen. Die waren für ihn be«
stimmt. Da ergrimmte der Krieg.
Mit einem Blicke umfaßte er die
zerrechnete Erde und schwang sich
auf sie herab. Rnd dann sprang
er über sie in mächtigen Sätzen.
Bei jedem Sprunge rissen die Ge-
webe der Berechnung. Und es gab
einen pfeifenden Ton, wie wenn der
Kaufmann Leinwand reißt. „Weh
mir!" jammerte die Erde, „er reißt
meine Eingeweide auf!" „Nein",
schallte es zurück, „nur deine Rechen«
kleider sind's, womit du dich be«
hängtest." Aber der Krieg konnte
es nicht hindern, daß Tausende von
Menschen, die zwischen Schuß« und
Kettenfäden dieser Kleider eingewebt
waren, mitzerrissen wurden.

And wie er weiterstampfte, sah
er den Springer Zufall an den
Pferdeschweif gebunden. Ein Schnitt
— frei wirbelte der Springer wieder
durch die Welt.

Noch ein Tritt des Krieges —
rote Gefängnismauern zerbröckel«
ten — das Schleiermädchen Ohn«
gefähr tanzte wieder durch die Welt.

Der nächste Tritt knirschte in ganze
SLöße von Versicherungspolicen
gegen den Tod und zertrat sie. Das
erschreckte Komma irrte von einer
Dezimalstelle an die andre zitternd
hin und her.

Weiter schritt der Krieg. Lodernde
Städte leuchteten ihm. Mit einem
zerknüllten Bündel Feuerversiche«
rungen wischte er sich den Schweiß
von der Stirne. Äber das Meer
blies er hin und zerblies die
SLränge, die es in Gefahrenklassen
teilten. Ganze Flotten schöpste er
mit hohler Hand aus der Gefahren«
zone Null, ließ sie eine Weile in
der Wassergrube seiner Hände gegen-
 
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