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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 12 (2. Märzheft 1916)
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Ullmann, Hermann: Polen, von einem Polen gesehn: zu Reymonds "Lodz"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0276

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nes Glück hab ich verspielt. . . . Man muß es für andre schaffen." Wollte
Reymont hier das Symbol für ein ganzes Geschlecht bilden? Für jene
Generation von Polen, die im Kampfe mit Mitteleuropa und in dessen
Schule erstarkend zunächst alle Romantik hinter sich warf und wirtschaft-
lich organisierte; am Schluß das dämmernde Ideal einer sozialen Sendung
vor Augen?

In Reymonts Bauernroman sind Zeichen russenfreundlicher, zum miw»
desten europafeindlicher Neigungen. Auch in diesem Roman spürt man
etwas wie Sehnsucht nach dem gläubigen, kraftspendenden, unerschöpflichen
Osten durch all das Wirrsal von Begebenheiten und Leidenschaften hin-
durch, die sich ,am Rande Europas entwickeln; eine innerste Abneigung
gegen Mitteleuropa, das s o nach dem Osten kam. Und wollte man dem
Bilde, das freilich durch viele Züge Zu« und Abneigung des stark be-
teiligten Darstellers verrät, trauen, dann könnte man auch fragen: konnte
der Osten den ihm näheren Westen achten und lieben, wenn er ihm so
sich zeigte? Deutlich wird's hier, wie sehr der Osten den Westen nur
als Zivilisation, wie wenig er von seiner Kultur zu fühlen bekam. Mcht
daß diese so völlig gefehlt hätte, wie bei den Reymontschen Fabrikanten:
aber sie wirkte nirgend unmittelbar, gewinnend, assimilierend auf die
fremde Amgebung, sie war zu sehr auf Selbsterhaltung angewiesen und
beschränkt und zu wenig kolonisatorisch. Bon unten sah man nur Macht,
Zivilisation, Technik, Erfolg: nichts Liebens- und sonderlich Achtens-
wertes.

Auffällig bleibt es, daß auch nicht ein Blick auf die russische Ber-
waltung geworfen wird, die doch den größten Teil der Demoralisation
in den Lodzer Konkurrenzkämpfen hätte hindern können, wenn sie sie
nicht geradezu verschuldet hat.

Welch ein Schritt von diefem Lodz Reymonts zu dem der Gegenwart!
Ein besonders bezeichnendes Stückchen jüngfter Weltgeschichte wird einem
lebendig, wenn man nach Reymonts Buch in der Festnummer blattert,
welche die „Deutsche Lodzer Zeitung" zur Feier ihres einjährigen Be-
stehens herausgebracht hat. Man tritt aus wirrem Traum in hellen
Tag: die Tür nach Mitteleuropa ist aufgetan, und reines Licht fällt in
das künstliche tzalbdunkel allzu östlicher Misch- und Aberzivilisation. Ein
ordnender Wille tritt in das Chaos, da und dort jäh und harten Tritts,
aber auch wieder schmiegsam, den Linien tieferen Berstehens folgend
uüd nirgend blind. Man regiert nicht bloß; man erforscht, fragt, tastet,
geht der so sremdartig verschlungenen Wirklichkeit nach und bringt zu
allem den freudigen Eifer des Ordnens und Gestaltens mit. Schon ist
in den Spalten dieser Lokalzeitung etwas von jener tzeimatluft zu spüren,
die der Deutsche sich überall schafft, wo er arbeiten kann. Man erinnert
sich des Deutschtums, das schon seit langem hier festgewurzelt ist; aber
es erhält nun einen neuen Sinn: es zeigt sich zum Weiterwirken, zum
tzelfen über seinen eignen Kreis hinaus berufen. Bald wird es unmöglich
sein, daß nationalpolnische Dichter die deutschen Gestalten in ihrem Bilde
polnischen Lebens mit Geringschätzung zeichnen. ^

Hermann Allmann


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