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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 13 (1. Aprilheft 1916)
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Stapel, Wilhelm: Was die Kirche sein könnte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0020

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Zunächst den einzelnen. Ihnen sollte sie nicht nur eine Anstalt zur
Erbauung usw. sein, sondern eine wirkliche Gemeinschaft. Line solche
kümmert sich nicht nur um die, welche innerlich oder Lußerlich in Not
geraten siud, sondern auch darum, daß die Not überhaupt nicht eintritt.
So entsteht eine echte Lebensgemeinschast. Viele Diener der Kirche
wirkeu dahin, gewiß, tut es aber auch „die Kirche"? Vereine, Liebes-
werke, auch im großen Stil, entstehen. Warum ist es die Kirche nicht
selbst, was die vereinzelten Menschen in eine große, tätig wirkende
Liebesgemeinschaft zusammenrasft?

Ferner, wir haben unsre Wirtschaftsorganisation, unsre moderne
Staatsorganisation. Wo aber hat die heiligste aller Mächte, die Liebe,
die Organisation, durch die sie sich in Wirtschaft und Staat als Macht
der Liebe geltend macht? Wo durchsetzt und heiligt die Kirche als solche
unser Wirtschafts- und Staatsleben mit der Liebe? Ihre eigenen Formen
sind ja nicht auf Liebe gegründet, sondern auf dieselben Kräfte wie die
übrige Welt. Sie muß sreilich auch ein weltliches Gebilde sein. Aber was
sie in der Welt wirkt, das soll sein: daß aus den Linrichtungen der Selbst-
sucht Linrichtungen der Pslicht und der Gerechtigkeit werden, daß schließlich,
was das Höchste und Letzte ist, aus ihnen Linrichtungen der Liebe werden.
Liebe kann ja nur offenbar werden als Arbeit in der Welt. Genügt
dem die Kirche?

Wenn Rade in der erwähnten Schrift fordert, daß die Kirche immer
mehr Volkskirche, das heißt eine im allgemeinen Volksleben stehende
Kirche werde, und daß sie sich „ethisiere", so zielt das dahin: die Kirche
soll sich mit den Dingen der Welt beschäftigen. Und sich damit be-
schästigen aus den Triebkräften der Religion heraus, um deretwillen sie
da ist. Sie soll als Ganzes in der Welt arbeiten in der Gesinnung des
Evangeliums, das ihr anvertraut ist. Sie soll diese ganz bestimmte Kraft
der christlichen Gesinnung durchsetzen helsen. Richt das ist nötig, daß
Kirche und Psarrer da sind, sondern daß durch sie die christliche Liebe
wirkt. Wozu hilst's, wenn sich Pfarrer und Kirchenbehörden mit der
Friedensfrage, der Frauensrage, den sozialen und politischen Nöten, mit
Bodenresorm und Alkoholismus beschästigen — wenn sie's nicht in dem
Sinn und der Art der zugreifenden Liebe Iesu tun, der die Krämer aus
dem Tempel — nein, nicht aus dem Tempel als solchen, sondern „aus
seines Vaters Hause« trieb? So wirkt Liebe, im Großen wie im Kleinen.
Das ist dann nicht mehr bloß Versittlichung der Welt, sondern Arbeit
am Reich Gottes, an einer Lurch die Liebe geheiligten Gemeinschaft.

Freilich, wie soll die Kirche derlei überhaupt angreifen? Wie können
die Dutzende von obersten Kirchenbehörden und Landessynoden so große
Dinge sich als ihr Arbeitsfeld vorstellen? Die Kirche als Organisation ist
jk hinter der Wirtschafts- und Staatsorganisation unsres Volkes weit zu-
rückgeblieben. Will sie auf die moderne Welt einwirken, so ist das, als
wenn ein Fähnlein Landsknechte mit Spießen, Musketen und Trommeln
das heutige Belfort erstürmen wollte. Ls ist nötig, daß die Kirche eine
Warte erhält, von der aus sie mit den großen Mächten der Welt verhandeln
kann, daß sie sich Organe schafft, durch die sie darauf einwirken kann. Die
 
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