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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 13 (1. Aprilheft 1916)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Was die Kirche sein könnte
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Nidden, Ezard: Marie von Ebner-Eschenbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0021

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Reichskirche und der Reichskircheniag erscheinen hier crls Voraussetzung
christlicher Liebesarbeit in dem ungeheuren Getriebe eines Siebzigmillionen-
volkes. Starke Arbeit braucht einen starken Körper. Es ist Zeit, datz die
Organisation der Kirche von der englischen Krankheit geheilt werde.

Daß der Krieg nicht nur ein äußerliches Ereignis für die Kirche ist,
sondern Schicksalszeit, fühlt man allenthalben. Die Welt ist voller Sehn-
sucht nach neuem Leben. Fordernd tritt sie auch an die Kirche heran. Wird
sie die Welt aufwärts sühren? Wird sie selbst erst einmal — die ganze, nicht
diese und jene Linzelkirche hier und da — in der Liebe stark werden?

Wilhelm Stapel

Marie von Ebner-Eschenbach 1-

ünfundachtzigjährig hat die Dichterin das Zeitliche gesegnet, die vierzig
^-VIahre lang Ruhm und Stolz Osterreichs war und deren Werke den

Lebensweg Tausender beleuchtet, den Lebenssinn Hunderter geklärt
und gehoben haben. Wenn von irgend jemand, kann man von ihr sagen,
daß sie ohne Neider und Feinde gewesen ist; dem Tage gehörte sie nie an;
bis auf wenige Wochen gleichaltrig mit Franz Ioseph, unter dessen Herr-
schaft ihr Vaterland die tiefsten Erschütterungen und gewaltigsten Wand«
lungen durchmachte, hat sie all die Iahre an dem festgehalten, was sich
nicht wandelt: am Menschlichen. Während ein Grillparzer in tiefer Ver-
schwiegenheit politische Verse ins Pult legte, während die Vormärzlyrik
ganze Geschlechter entflammte und Raimunds erzieherische Märchen das
Wienervolk ergötzten, während Nestroys Satire Vormärz, Revolution und
Reaktion mit Schlaglichtern begleitete, während Hartmanns Werke mitten
in den Kampf hineinschollen, während Halm und Bauernseld die Bühne
beherrschten, während Stifter die Summe einer urösterreichischen Lebens-
ersahrung zog und zur Weltanschauung ausgestaltete, Dutzende von Iünge-
ren auf sein Evangelium verpflichtend, während dann mit David, Schnitzler,
Bahr ein neues Leben, neue Konflikte, neue Schicksale in die Literatur
einzogen, während Anzengruber und Rosegger die Blicke ihrer Tausende
von Lesern hinlenkten auf allzulange unbekannte Gefilde des Lebens, wäh-
rend mit Dichtern und Schriftstellern wie Bartsch und Nabl, Trentini und
Molo und zahlreichen Anderen eine neue Blüte österreichischen Schaffens
einsetzte, ist sie durch alle Iahrzehnte auch dagewesen, niemand seindlich,
niemand bekämpfend, ohne unmittelbaren Zusammenhang mit dem be-
sonderen Wollen des Heute, irgendwo im Hintergrund, gütig und groß-
sehend, tief verstehend, zeitlos gestaltend. Kein politisches Ereignis hat
ihr Schaffen bewegt, und nur im äußersten Grenzbezirke ihrer Kunst spielt
das Literaturleben gelegentlich eine Rolle. Mit diesem tagfremden Schas-
fen aber hat sie über vierzig Iahre hin — ihre ersten Lrzählungen er-
schienen j875 — die treue Freundschaft der Gebildeten, die unerschütterliche
Liebe Tausender sich erhalten. Sie hielt uns nicht „in Atem^, ein neues
Buch von ihr war keine Sensation, aber noch das letzte, das während des
Krieges erschien, legten wir gleich aus dem Haufen der Neuerscheinungen
heraus, behielten ihm eine stille Stunde zum Lesen vor und einen guten
Platz im Bücherschrank. Und wenn auch in diesem letzten manches nur
Skizzenhafte enthalten war, zwei Stücke auch aus ihm trugen jene Züge
von Reise, Liebe, Vollmenschlichkeit, wegen deren wir das Beste dieser Frau

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