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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1916)
DOI Artikel:
Nidden, Ezard: Marie von Ebner-Eschenbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0022

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zu den dauernden Kunst- und Lebensschätzen ihres Iahrhunderts ge-
stellt haben.

Es kommt viel darauf an, welche äußeren Lrlebnisse die dichterische
Schasfenskraft eines Talentes wecken. Alle Anregungen, so erzählt Marie
von Ebner, „verschwanden wie Schatten vor dem Eindruck, den die drama-
tische Kunst aus mich machte. Im Winter wurden wir jeden zweiten Tag
in das Burgtheater mitgenommen. Eine neue Welt ging mir auf, und
doch war mir, als befände ich mich in meinem eigentlichen Element. Das
Burgtheater war damals eine Bildungsschule ersten Ranges, die Ersindung
der Komtessen-Stücke noch nicht gemacht. Noch galt das Wort Iulie
Rettichs: »Das Klassische schadet nicht«. Nein wahrlich, es schadet nicht,
es läutert, es erbaut und begeistert. An manchem solchem Weiheabend
saß ich auf dem Bänkchen im tzintergrund unserer Loge, der Kopf brannte
mir, meine Wangen glühten, ein kalter Schauer nach dem andern lief
mir über den Rücken und ich dachte: über kurz oder lang werden deine
Stücke hier ausgeführt und deine Worte werden von der Bühne wie
Funken herunterprasseln. Das waren Stunden!" „Der Lebenskampf eines
jeden Menschen, der ernstlich und heiß nach zu hoch gesteckten Zielen strebt,
ist ein schwerer. Was ihm zu seiner Erlösung am nötigsten wäre, erlangt
er zuletzt — die Demut.« Diese wenigen Worte der mehr als Sechzig-
jährigen ziehen den Schluß aus fünfundzwanzig Lebensjahren, verbracht
in vielgehemmter, mühsamer, nur langsam anerkannter Dichterarbeit zwi-
schen den Burgtheaterträumen und den ersten Erfolgen, die sich auf ihre
frühesten Erzählungen einstellten. Sie hat alles abgetan, was ihr einst
vorgeschwebt, große Tragödienpläne, die Welt der gewaltig einherschreiten-
den Gestalten der Phantasie und Weltgeschichte, das pathetische Vers-
gewand und die prasselnden Worte. Aber ihre Gesinnung ist „klassisch"
geblieben, ist es wohl erst in diesem Ringen mit dem Klassischen bis in
die letzten Tiesen geworden. Die Ehrfurcht stammt daher, mit der sie von
vornherein dichterische Ausgaben betrachtete und aus der heraus sie un-
ermüdlich an sich arbeitete, ohne je in allzu großes Selbstvertrauen oder
gar ins Virtuosische zu verfallen. Aber auch andre Züge stammen daher;
ich deutete schon an, was alles an Kunstübung ihr allein in Österreich
entgegengetreten ist, zu jeder gehörte irgendeine neue Poetik, irgendeine
neue Lehre von Sinn und Zweck und von der technischen Wesenheit der
Kunst. Sie hat sich nicht eingelassen aus die politische Dichtung, nicht auf
den Zeitroman, nicht auf die l'art pour l'art-Grundsätze, den Naturalismus,
den Symbolismus, die Alt- und Neuromantik, nicht aus die „Erotik über
alles", nicht aus irgendeine Mode, Richtung, Theorie oder Nachahmung.
Geworden war sie und ist geblieben, was sie allein ganz sein konnte:
die Klassikerin der zeitlosen Lebensschilderung. Klassisch in ihrer über-
legenen, vorurteillosen, aus den ethischen Kern der Gestalten gerichte-
ten, nur dem Innerlichen ganz zugewandten Gesinnung. Zeitlos, inso-
fern sie nirgends an Tagesereignisse und zufällige Zeitäußerlichkeiten an-
knüpste — ihre Erzählungen wären ohne viel Mühe und ohne künstlerisch
bedeutsamen Verlust leicht in andre Iahrzehnte, manche davon in andre
Iahrhunderte zu verlegen.

Aber auch darin hat sie ihre Begabung erkannt und fruchtbar geinacht,
daß sie als Schildrerin nur ausnahmsweise den Kreis überschritt, den
ihre Erfahrung ihr bot. Diese Ersahrung war groß, wie bei allen Aristo-
kraten, die sich nicht im Standesgenossenkreise abschließen. Sie umfaßte

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