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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 13 (1. Aprilheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0053

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gar keinen Wert; aber vielleicht
könnte der „Wandervogel^ zuwei--
len selbst darauf achten, daß er nicht
zu sehr mit dem Äußeren hervor-
tritt; das Kleid tut es ja nicht, son-
dern der Wille. Wird er aber doch
mißverstanden, so soll er sich nach
Goethes Vorbild richten, der auch
so viel mißverstanden, angegrisfen
oder auch mißachtet wurde. Der ließ
sich die Laune nicht verderben, ging
seines Wegs und tat feine Pflicht.

Noch eine Bemerkung:

Sfter habe ich im Verkehr mit
Wandervögeln die Meinung beob-
achtet, wie ihre Art der Organisation
und des geselligen Verkehrs die ein-
zig richtige sei) sie hatten gleich Lust,
einen Turnverein, einen Iugendver-
>ein, einen Ruderverein nach ihrer
Art umzumodeln. Das kann zu
großem Unheil führen; auch andere
haben sich ihre Formen und ihren
Stil aus ihrem inneren Bedürfnis
geschasfen, sie sind geschichtlich be-
dingt ebenso wie die Wandervögel.
Gerade das geschichtliche Werden zu
erkennen, ist eine der nächsten Auf-
gaben für den Wandervogel; von
der Stimmung Rousseaus fortzu»
schreiten zu der tieferen Art Goethes
und Schillers, durch welche die deut-
sche Art der geistigen Arbeit die
fruchtbarste geworden ist.

Rnd endlich noch eins:

Die Formen des Wandervogels
sind am meisten geeignet für den
höheren Schüler, welchem der Segen
freier Muße und reichlicher Ferien
sür eigene Arbeiten beschieden sind;
sobald der einzelne Wandervogel er-
wachsen ist, wird er erkennen, daß
in andern Berufen und im enger
begrenzten Kreise auch andere For-
men der Erholung und der Gesellig-
keit sich bilden müssen. Anderer-
seits wird er ein andres erkennen,
was ihm selber erst später beschieden
wird, die Freude an der frühen nütz-
lichen Arbeit. Und auch damit wird
ihm wachsen die Achtung vor der

Arbeit der Hunderttausende, die in
geschichtlicher und sozialer Verbin-
dung leben und schasfen. Soziale
Führer zu erziehen, scheint recht
eigentlich eine Hoffnung zu sein für
den Wandervogel.

Für die Iahre der Iugend aber
ließe sich noch folgendes sagen: dem
Schüler, der bis zum achtzehnten
Iahre wesentlich doch mit der ab-
strakten Arbeit des Lernens beschäf-
tigt ist, ist es gut, wenn er wandernd
die reale Welt zu fassen sucht. Und
mehr und mehr muß unserer wan-
dernden Iugend auch das Wandern
ein Schauen, ein wirkliches Arbeiten
und Erkennen werden, das sich über
den nur stimmungsvollen Genuß
immer weiter emporhebt. Die Iu-
gend aber, die frühe in die praktische
Arbeit eintritt, lernt die wirkliche
Welt auch früher und gründlicher
kennen als der Schüler. So sehr
auch ihr das Wandern zu gönnen ist,
so darf sie doch nicht jeden freien
Tag mit Wandern verbringen; das
würde sie — und wir sehen es ja
tatsächlich — aus Familie, Heimat,
Genossenschaft des Berufs schließlich
herauslösen. Darum baut diese
Iugend ihre Geselligkeit besser nicht
auf Wandern auf, sondern sie
braucht andre Formen, in denen sie
mit demselben reinen Willen edeln
geschichtlichen Volktums an sich selbst
arbeiten kann.

Ich hoffe, daß diese Zeilen man-
ches Mißverständnis klären und zu-
gleich in den Reihen des Wander-
vogels die Lust wecken mögen, in
den Iahren der ersten Mannheit mit
der frischen Kraft sich in den Dienst
des großen, heiligen, im schweren
Tagwerk arbeitenden Volkes zu
stellen. sms Walter Classen

Kleine Mitteilungen und
Ergänzungen

it welchen Schwierigkeiten jetzt
die deutsche Presse arbeitet, das
ist der Mehrzahl ihrer Leser sicher

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