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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1916)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Shakespeare
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0070

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stelzen; dann wieder betrog uns eine Zeit ganz um Takt und Maß des
immer Takt- und Maßvollen, indem sie ihn ins nüchternste Kanzleideutsch
zwang; bis endlich August Wilhelm von Schlegel im restlosen Lebendig-
machen des Verschütteten seine eigene Unsterblichkeit sand. Man vergleiche
nur einmal ein paar Zeilen aus der Wielandschen und Eschenburgschen
Äbersetzung mit seiner! Aber Ruhe kam damit noch nicht in diese Geistes-
kolonie. Das Verhängnis wollte, daß Schlegel nur siebzehn von
den siebenunddreißig Stücken gewann; und wenn wir auch unsre
Trauer dämpsen können, wo es sich um „Titus und Andronikus", um
die „beiden Veroneser", um „Heinrich VIII." und um „Perikles" han-
delt, so doch nicht bei dem Versäumnis, das uns Schlegels klarschöne
Form sür die Kolosse Lears, Macbeths, Othellos und Koriolans vor-
enthalten hat. Nichtigkeiten — Zerwürsnisse mit seinen Verlegern und seine
Arbeitzersplitterung — tragen die schwere Schuld. Die heute noch nicht
festgeschlossene Lücke ist schars bestürmt worden. Man möchte ja auch
jedem dankbar sein, der Kenntnisse, Begabung und ein paar Lebensjahre
an solche Lindeutschung gewendet hat; aber man vermag's nicht, um Schle-
gels willen nicht, weil immer noch der Eine sehlt, dem der Dichter selber
danken müßte.

In der Art von Unterstand, wo ich das schreibe, gibt's keine Shakespeare-
bibliothek. Aber vielleicht genügt es, wenn ich von den vielen einige aus
dem Gedächtnisse namhast mache, die Schlegeln den Kranz von der Stirne
reißen oder sich ihm gleichstellen wollten. Der alte Tieck, der die Ehre
genießt, seit einem Iahrhundert durch einen Bindestrich mit Schlegel ver-
heiratet zu werden, war im Grunde recht saul und zeichnete eigentlich nur
als über den Wassern schwebender verantwortlicher Schristleiter für seine
Tochter Dorothea und den Grasen Baudissin. Die Mängel dieser beiden
haben dann das große Wettübersetzen entfacht, an dem sich zuerst die
Söhne des alten Homererweckers Voß — Heinrich und Abraham - beteilig-
ten, später unter anderen Philipp Kaufmann, Bodenstedt, Heyse, Gilde-
meister, Ludwig Seeger, Alexander Schmidt, Wilhelm Iordan, Friedrich
Theodor Vischer und als letzter Gundols. Die bloße Verbesserung einzelner
Ausdrücke hat sich außerdem sast die ganze deutsche Shakespeare-Gesellschast
angelegen sein lassen, die jetzt genau so lange besteht, als der Dichter alt
geworden ist; sie wurde am dreihundertsten Gedenktage seiner Geburt ge-
gründet. Die von ihr besorgte kritische Ausgabe ist aber nicht nur kost-
spielig, sondern auch weit weniger sprechbar als der wohlseile Text des
„Schlegel-Tieck". Hermann Conrads achtunggebietende, mühevolle und er-
gebnisreiche Gesamtdurchsicht des Textes aus dem vorigen Iahrzehnt leidet
eigentlich nur daran, daß der Verlag die Stücke nicht aus den sünf dicken
Bänden löst und sür 20 oder 25 Psennige hergibt. Sonst wüßte ich nicht,
warum die Bühne sich gegen sie verschließen sollte.

Rnter den Dramaturgen, die sich weniger ums einzelne Wort als um die
Szenensolge und um die Wirkung kümmern, stehen Bürger und Schiller oben-
an. Sie haben beide an „Macbeth" gesündigt, aber immerhin unter Wahrung
ihrer eigenen dichterischen Würde. Bürger verpflanzte die geräuschlos durch
die Nebel Schottlands gleitenden Hexen nach dem Blocksberg, wo sie kindische

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