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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 14 (2. Aprilheft 1916)
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Gregori, Ferdinand: Shakespeare
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Walzel, Oskar: Cervantes
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0077

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werkern aller Art zusammengehockt, so daß er ernen Dachstuhl zeichnen,
ein Floß bauen, einen Krug aus der Töpferscheibe drehen gelernt; und
in allen erreichbaren Reisebeschreibungen und zweiselhasten Geschichtsbüchern
geschmökert, die ihn, den Phantasievollen, zu neuen Inseln, wunderbaren
Fabelwesen und herrlichen Heldentaten geleitet haben. Lr übertrifst Dutzende
von Gelehrten an fruchttragendem Wissen. So, auf viel höherer Warte
der Veranlagung, Shakespeare! Er hat, wie die Lbner-Lschenbach von
ihrem Künstler in „Agave^ sagt, keinen Lehrer gebraucht als sein Auge
und keine Schule als die Natur. Shakespeare lebte obendrein im elisabetha-
nischen Zeitalter, das mit den geistlichen Beschränkungen auch selbstbewußt
alle andern Rücksichten abwarf. Lr konnte täglich in derber, übermütiger
Zechergesellschaft sein wie in der gedämpsten — sagen wir — eines Bacon,
der gewiß oftmals sein Gast gewesen ist und vielleicht auf der Bühne keine
zwei Schritt vom Darsteller und Dichter Shakespeare entfernt gesessen hat.

Shakespeares Schassen in seiner bunten Struktur, seine feste Faust und
sein fast spielerisches Lausenlassen ist der echteste Ausdruck des Kolonien
erobernden, des Kolonien besänftigenden Inselvolkes. Und wem aus schau-
spielerischer Standesliebe auffällt, daß er im „Iamlet", im „Sturm", in der
„Bezähmten Widerspenstigen", der „Verlorenen Liebesmüh" und im „Som-
mernachtstraum" am einfachen Theater noch nicht genug hat, sondern
daß er ein zweites ins erste hineinsetzt; wer außerdem die — noch nicht
gezählten — dichterischen Bilder im Gedächtnisse hegt, wo der Dichter das
Leben seiner Helden und Clowns auf das des Schauspielers bezieht: der
muß an der alten Aberlieserung sesthalten, die Shakespeare demselben Be-
rufe zuweist, den Moliere und den wohl auch Aschylos und Sophokles
auszuüben sich nicht geschämt haben^ von Goldoni, Raimund, Nestroy und
Anzengruber uoch zu schweigen!

Wir lieben mit dem Dichter eben auch den Schauspieler. Aber diesen
Teileigenschasten aber steht die gewaltige einheitliche Kraft, für die das
Wort Persönlichkeit kaum ausreicht. Wenn ein Sterblicher über die „Gren-
zen der Menschheit" hinausragt, wie sie Goethe auszeichnete, so kann's nur —
bis heute — der Schöpfer Macbeths und des Sommernachtstraumes sein.
Lessings Lmilia, Goethes Iphigenie, Schillers Maria, Kleists Iupiter,
Grillparzers Sappho und Hebbels Rhodope haben ihre Heimat allesamt
ihrem Gewande zum Trotz auf deutscher Erde; Shakespeares Othello und
Shylock aber scheinen wirklich auf der Scholle Afrikas und in der Enge
des venezianischen Ghetto geboren zu sein und Puck und Ariel gar in Thule
oder auf Orplid. snI Ferdinand Gregori

Cervantes

^^.ur wenig mehr als zehn Iahre sind verstrichen, seitdem Don Quijote
sein Dreijahrhundertfest feierte. Es liegt nahe, von der grundver-
^ v-schiedenen Stimmung ein Wort zu sagen, mit der die Welt heute
die dreihundertste Wiederkehr von Cervantes' Todestag begeht. Sein
Roman war eins der krästigsten Bänder, die bis vor kurzem ein Volk
ans andere schlossen. Auf dem Don Ouijote fußten Begrifse wie Welt-
bildung und Weltliteratur. Er bezeugte vielleicht am allerstärksten, daß
 
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