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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1916)
DOI Artikel:
"Militarismus", [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0084

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Auf der einen Seite steht das „Kriegswesen, Soldatenwesen überhaupt"*,
das heißt: die Sunrme der Zustände, die mit der Einrichtung eines Heeres,
des Krieges usw. gegeben ist; eben dies nannte man srüher: Militarismns.
Indessen war seit Iahrhundertende dieser Gebrauch selten geworden. „Häu--
siger wird das noch nicht alte Wort jetzt gebraucht zur Bezeichnung einer
die bürgerlichen Verhältnisse benachteiligenden Vorherrschaft des Kriegs-
wesens in einem Staate." Ilnd diese Vorherrschaft, so fügen wir hinzu, ist
nichts andres als dieselbe Art von Folgewirkung eines bestimmten Zustandes,
wie sie oben aufgedeckt wurde, sichtbar an mehr oder weniger zahlreichen
Lrägern solcher Wirkung, die zugleich von jenen Zuständen bestimmt und
als vorbildliche Weiterträger ihrer so bestimmten Art erscheinen.

Iener erste Militarismus ist ein Gegenstand der Geschichte, der Kriegs-
wissenschast, der politischen Okonomie und der Politik; dieser zweite
gehört in die G ese lls ch a f t s le h re, er ist ein soziologisches Phänomen.

G

^>on diesem „soziologischen Militarismus", von dem vor dem Kriege in
^Deutschland tausendmal öfter die Rede war als von dem konkreten,
sei zunächst einiges gesagt. Die begrissliche Bedeutung des Wortes ist klar:
es bezeichnet Folgeerscheinungen des Heerwesens im Leben
der Nation. Das ist sreilich nur eine Zeichnung des Begrissumrisses,
und dieser ist nicht einmal scharf gegeben, nicht eine Linie sondern ein Band.
Doch haben ja viele Begrisfe einen klaren Kern mit sehr verschwommenen
Grenzen. Sehen wir weiter zu! Was ist der Gegensatz zu Militarismus?
Hätte man vor dem Kriege so gesragt, so wäre die Antwort sehr oft gewesen:
Pazifismus. Das Wort hatte in vielen Fällen einen weltpolitischen Ne-
bensinn; man meinte, eine Hauptwirkung des Heerwesens bestehe darin,
die Staatsbürger dem Gedanken des Krieges gesügiger zu machen. Im
Gegensatz zum Militaristen stand auch der rein wissenschaftlich Interessierte;
so wenig wie ein Frauenkenner Feminist, so wenig brauchte ein Heer-
kenner Militarist zu sein; Frankreichs bester Kenner des Militärs, Iaures,
war genau das Gegenteil eines Militaristen. Diese Gegenüberstellung
deutet abermals auf einen Nebensinn des Wortes; man meinte mit
Militarismus nicht militärischen Sinn, sondern unangebrachtes Wirken
in diesem Sinne, nicht nur eine Eigenschaft, sondern eine aktive Eigen-
schaft, ein Wirken und Werben sür eine bestimmte Gesinnung. Line
auch ziemlich große Anzahl militärisch Besähigter und militärisch Den-
kender in einem Volke würde niemand gekümmert haben; erst der An-
spruch auf Vorbildlichkeit solcher Befähigung und solchen Denkens,
erst das Abergreisen aus nicht militärische Gebiete ries den Vorwurf des
Militarismus hervor. Ein drittes Gegenwort HLtte vielleicht gelautet:
Demokratismus. Es war zur Gewohnheit geworden, demokratisch Ge-
sinnte gegen den Militarismus sprechen zu hören. Militarist wurde ein
Wort, das Nebenvorstellungen wie „Aristokrat", „Aberkonservativer" er-
weckte.

Außer über Bedeutung und Nebensinn eines Wortes soll eine aus-
reichende Wortanalyse auch über seinen Gefühlswert etwas enthal-
ten. Dienen uns doch die Worte nicht nur, um irgend eine Gegenständ-
lichkeit, sei es nun eine von klarem Umriß oder eine mit verschwimmenden

* Dieses uud das folgende Zitat nach dem Staatslexikon der Görres-Gesell-
schast, 3. Band <Ml!)
 
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