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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1916)
DOI Artikel:
"Militarismus", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0087

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das Wesen unserer besten Männer, welchem Stande oder Beruse, welcher
Klasse oder Partei sie angehören mögen. Nur weil unser Heer aus einem
Volke hervorgeht, dem Pflichtgefühl und Ordnung in Fleisch und Blut
übergegangen sind, darum erringt es seine Siege. Wo wir uns umsehen
im deutschen Volke: immer tritt uns Potsdam als Grundzug des Wesens
entgegen. Ich sagte schon: in allen Berufen und allen Parteien. Sehen
wir uns unsern Reichstagspräsidenten an, den ehrwürdigen Iohannes
Kämps, oder Friedrich Naumann oder irgend welchen Hervorragenden
Liberalen: immer ist es bestes Potsdam. Es sind stets Männer aus
Pflicht und Selbstzucht und Ordnungssinn zusammengesetzt. August Bebel
war bestes Potsdam."

Augenscheinlich herrschte in diesem Streitfall nicht die Absicht, eine
logische Dissertation zu bieten. Und so tut man Sombart kein Unrecht
mit der Feststellung, daß Logik nicht die stärkste Seite seiner Erwiderung
war. Er redete an seinem Gegner vorbei. Wenn wirklich Pflichtgesühl,
Ordnungsinn und andre löbliche Eigenschasten der Deutschen aus dem
Heere stammen und nicht einfach Erbgut der Nation sind, so hatte Shaw
diesen, den positiven soziologischen Militarismus eben nicht gemeint.
Denn sein kühler Skeptikersinn hätte auch im Kriege moralische Vorzüge
dieser Art nicht plötzlich zum Gegenstand des Losschlagens gemacht. Er
meinte nichts andres, als was in Deutschland selbst vorher fünfzig Iahre
lang bekämpft worden war, und zur Begründung seines Streitruses hätte
er das Handbuch der Sozialdemokratie, Eugen Nichters Reden oder Karl
Bleibtreus Schriften ausplündern können. Sombart hielt der von Shaw
angegriffenen „Seite" des „Militarismus" eben eine andere „Seite"
des „Militarismus" entgegen, und zwar eine Seite, die man srüher selten
gesehen und kaum jemals oder nie mit dem Worte „Militarismus" ge-
deckt hatte.

Auf die Dauer ließ aber der Sprachgebrauch seiner nicht spotten. Es
war Lujo Brentano, der ihm wieder aufhals. Lnde Oktober veröffentlichte
er eine Antwort auf einen sranzösischen Angriff, in der es hieß: „Zum
Schluß lassen Sie mich noch ein Wort zum Protest dagegen sagen, daß
der Kampf gegen unseren sogenannten Militarismus kein Kampf gegen
unsere Kultur sei. Sie scheinen zu übersehen, daß es zweierlei Dinge gibt,
die mau unter Militarismus versteht. Wenn wir Deutsche unter uns
über Mtlttarismus klagen, haben wir dabei einzelne Abelstände vor Augen,
nämlich daß der Ofsizier und der Reserveossizier manchmal eine größere
Rolle spiele als ihm zukomme, daß in dem Bureaubeamtentum aller
Zweige eine zu große Zahl von Stellen den Militäranwärtern osfen ge--
halten werde, und daß es bei uns Leute gibt, die so reden, als sei das
Heer Selbstzweck, statt eines bloßen Mittels zur Sicherung der Existenz--
bedingungen Deutschlands. Das aber offenbar ist nicht der Militarismus,
den Sir Edward Grey vor Augen hatte, als er erklärte, die Verbündeten
sührten Krieg, um Deutschland und Europa vom Militarismus zu be-
sreien. Es ist das eine innere Angelegenheit, deren Austragung die Ver-
bündeten wohl uns selbst überlassen könnten. Ein anderer Militarismus
aber ist der das gesamte Volk durchdringende Geist, daß es mit Freuden
zu den Wasfen zu greifen habe, wenn es gilt, das Vaterland zu ver-
teidigen, und diesen Militarismus wird der von unseren Feinden unter--
nommene Krieg, statt ihn zu schwächen, nur stärken. Denn die ganze Exi-
stenz des deutschen Volkes ist untrennbar mit diesem Militarismus ver-

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