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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 15 (1. Maiheft 1916)
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Classen, Walther: Ostern
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0125

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Mrt Staunen mng man schauen, was mancher im Feld gebliebene deutsche
Arbeiter hinterlassen hat an Hosfnungen, an unzerstörbaren Kenntnissen;
was an Büchern, Gedanken, Briefen dieser so unbeachtete Mensch hinter-
lassen hat. Wir waren eine Aation in der Fülle des Lebens, aber auch
in der Hast der Arbeit und der Konkurrenz und des Genusses. Ieder
wollte leben, sür sich allein mit allen Fasern seines Wesens. Dabei aber
verlor das jüngste Geschlecht schon mehr und mehr die FLHigkeit, für das
Ganze zu leben. Und daran begann die Familie zugrunde zu gehen.
So fängt es immer an, und Staatssinn, Soliditat und vieles andere
folgen. So ging es den Griechen, so ging es den Italienern des Mittel-
alters.

Bun aber zieht ein Erwachen junger Frühlingskräste durchs deutsche
Volk. Hunderttausende lernten und lernen das Lchte scheiden vom Schein;
die Heimat, die redliche, schaffende Arbeit, das sichere Heim, sie leuchten
ihnen jetzt als ihre Sterne. „Was haben wir gering geachtet und was
haben wir hoch geschatzt — wir Toren!" Die Familie wird wieder der
letzte Grund, in dem wir wurzeln. Und damit gesunden die Muskeln
und Nerven, die den Volkskörper bilden und straffen sich in neuer Iugend.
Anders freilich, freier, selbstherrlicher wird die deutsche Familie sich be-
gründen als bisher. Und das geschieht so:

Es ist ja gewiß auch etwas wie religiöse Selbstbesinnüng durch
den Krieg entstanden. Wellen der inneren Bewegung gehen aus von
alten kirchlichen Lrinnerungen und kehren schließlich auch zu den alten
Volkskirchen zurück, die in allem Wechsel der Zeiten bestehen bleiben.
Auch heute bestätigt sich das wieder. Die Volkskirchen werden etwas ge-
stärkt aus dem Kriege hervorgehen. Aber wesentlich verändert, etwa gar
erneuert werden sie durch ihn nicht. Ich glaube: das neue Leben, neue
Wahrheit und religiöse Kraft wird an einer andern Stelle erblühen, näm-
lich in der deutschen Familie. Der Krieg schenkt uns doch die Berührung
so vieler Bester und Edelster im deutschen Volke, sie lernen sich nun besser
kennen und lernen dadurch, in sich selbst das Wesentliche vom Außerlichen
unterscheiden, eine neue Form der Frömmigkeit, eine fromme, tapfere
ehrfurchtsvolle Lebensauffassung. Sie steht über den Konsessionen. Sie
ist ihnen nicht etwa feindlich, aber sie steht darüber. Sie hat die langen
Fragen aus dem sechzehnten Iahrhundert abgestreist, als mühsam sich der
europäische Mensch zum Selbstbewußtsein emporarbeitete. Die Stätte dieses
neuen frommen Denkens wird die Familie sein, der Tempel, in dem der
Deutsche frei und stolz seine besten, edelsten Gedanken hegt und den Seinen
weitergibt.

So aber wird die Gestalt der neuen Frömmigkeit sein: ihre Formen
und ihre Sprache wird sie gewinnen nach deutscher Art, wie Dürer und
Goethe. Wahr, herb und klar, wie die Landschaft der Heimat; der Natur
mit Liebe und Ehrfurcht zugewandt; nicht an Glanz und Flittergold sich
berauschend, sondern des Lrdgutes froh, im kleinsten Leben, das zu deinen
Füßen im Windhauch schwankt, und im ehrnen Gang der Sterne und
im zarten geheimnisvollen Wirken der Lebenssäfte den Schöpfer er-
kennend. Aber zugleich weltoffen und helläugig wird die neue Frömmig--

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