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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 15 (1. Maiheft 1916)
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Kutter, Hermann: Vom Werte des deutschen Staatswesens: (von einem Neutralen)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0127

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Zweck des G<rnzen unterordnet. Wie weit hier von einer bewußten Absicht
der Regierung, von einer demokratischen Politik und dergleichen gesprochen
werden kann; ob die Regierung mehr selbst stoßend oder mehr gestoßen
vorgeht, ob sie die Grenzen ihres Müssens und ihres Wollens immer scharf
auseinander zu halten vermag, das entzieht sich natürlich dem Auge des
Beobachters — genug, daß die Tatsache vorliegt eines glücklichen und
sruchtbaren Gegensatzes zwischen Regierung und Opposition, die kein Glied
aus Kosten des andern einseitig zu entwickeln vermag. Die Kräfte halten
sich die Wage, es ist bei der auf sich selbst ruhenden Stärke der Regierung
kein Kampf ehrgeiziger politischer Streber um die Macht, sondern ein
Kampf um die Frage nach dem Staatswohl, wo mächtige und fruchtbare
Gedanken zum Austausch kommen. Also gerade das, was Deutschland
namentlich in dem Lager der demokratischen Gemeinwesen immer wieder als
Schwäche angerechnet wird, ist seine Stärke: seine Regierung. Sie ist
stark genug, um neben sich die verschiedensten Parteien dulden zu können,
um namentlich selbst dem Ziele des Volksstaates ihre ernste Aufmerksamkeit
zu widmen. Indem sie nur zögernd, Stück für Stück nachgibt, veranlaßt
sie gerade das, was Bedingung wahrer Freiheit ist, eine langsame stufenweise
Erziehung des Volkes zur Freiheit. Gerade die ungeheure Stärke der
Regierung, die sich wie eine eherne Mauer um die verfchiedenen, jetzt
einander aufs bitterste bekämpfenden, jetzt im gemeinsamen Ansturm auf
die Regierung hereinbrandenden Parteien und gesellschastlichen Span-
nungen gelegt hat, ist es, was eine langsam aber sicher vorwärtsschreitende
Resultante aus den sich widerstrebenden Kräften zu entwickeln vermag, die
gemeinsame Summe divergierender Anstrengungen, die sonst wild und
planlos aufeinander gestürmt wären und sich gegenseitig lahmgelegt hätten.
Alle die feindseligen Spannungen werden nun so, um den Ausdruck zu ge-
brauchen, im unzerbrechlichen Kessel der Staatsgewalt gezwungen, sich
gegeneinander abzuklären und auszugleichen, zu finden und zu verstehen,
indem sie durch die unerbittlichen Wände des gemeinsamen Raumes immer
wieder auf denselben Schauplatz leidenschaftlicher und gediegener Arbeit,
wo keines gegen das andre zurückstehen will, niedergezwungen werden. So
aber kann ein allmLhliches gegenseitiges Verständnis und Gewähren-
lassen der verschiedenen Gruppen untereinander angebahnt werden, das
in der weiten Arena der demokratischen Verfassungen erst dann erreicht
wird, wenn die demokratischen Parteien die größere Bewegungsmöglichkeit
des moralischen Elementes, die allein die Demokratie zu ihrem Vorteil
von der monarchischen Verfassung unterscheidet, in Aktion treten lasseu:
den guten Willen, sich zu verstehen, nicht nur sich zu bekämpfen. Wie schwach
sie ohne ihn sind, wie gefährlich es sür sie ist, wenn ihnen zum Müssen
auch noch das Wollen sehlt, das wollen wir hier lieber nicht weiter verfolgen.

Zur näheren Mlustration des eben Gesagten erinnern wir kurz daran,
daß dasselbe Deutschland, dem man von allen Seiten rückschrittliche Ten-
denzen vorwirft, von dem das Ausland bereitwillig glaubt, daß es sich
anschicke, die Welt zu einem einzigen großen Militärlager umzugestalten,
eine Opposition in seiner Mitte großgezogen hat, von der sich die fast ins
Lndlose zersplitterten Oppositionsparteien anderer Länder keine Vorstellung
machen. Wo anders, als in dem verrufenen Deutschland ist die Sozial-
demokratie — bei allen ihren inneren Gegensätzen — zu so imposanter
Machtentfaltung gediehen, daß sie die stärkste Partei im Reiche geworden ist?
Davon schweigen die freiheitsdurstigen Kritiker des deutschen Staatswesens

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