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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 15 (1. Maiheft 1916)
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Kutter, Hermann: Vom Werte des deutschen Staatswesens: (von einem Neutralen)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0129

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standen, nur die erweiterte moralische Freiheit. Ein unmoralisches Volk
kann nie ein freies Volk sein. Die europäischen Völker waren, von der
langen Friedenszeit verweichlicht, alle nahe daran, die moralische Tatkraft
zu verlieren. Nun hat uns der fnrchtbare Krieg die Augen aufgetan
über unsre faule Kultur; vielleicht lernen wir nun nach dem Kriege, was
vor ihm umsonst von einzelnen gepredigt worden ist. Noch einmal:
Nur der gute Wille ist srei. Es gibt keine freien Institutionen und Ge-
setze; denn die nützen dem nichts, der nicht den Willen, der nicht die
Kraft zur Freiheit hat. Wo aber Wille und Krast vorhanden ist, da
ergibt sich eine entsprechende Versassung allmählich ganz von selbst. Wer
nicht Herr ist über die schlechten Triebe seiner Natur, der kann auch eine
politische Freiheit nicht verstehen, geschweige denn zu seinem Vorteile ge-
brauchen, dem wird sie im Gegenteil gefährlich; denn wo die Freiheit
sehlt, da führen die Freiheiten zum Verderben. Freiheiten ohne Freiheit
sind vom Baume gestobene Blüten, mit denen die Winde spielen. Es
gibt Dinge, die nie frei sein dürfen, wenn die Freiheit gedeihen soll: die
animalen Triebe unserer Natur. Sie gehören nicht in das Gebiet der
Freiheit hinein, wohl aber helfen sie es bauen, wenn sie, bezwungen und
gelenkt vom überlegenen Willen, ihre gewaltigen aber blinden Kräfte
einem höheren Zwecke unterordnen. Nur der Geist kann srei sein. Nur
aus dem Innern erbaut sich die Freiheit. Ein Volk ist srei, wenn es
die Kunst verstanden hat, die Gesetze des inneren Lebens zu Richtlinien
des äußern zu erheben, wenn es in seiner politischen Betätigung den
Prinzipien des Geistes Ausdruck gibt. Wo diese wahre Freiheit realisiert
ist, da allerdings kann die Verfassung keine andere sein als die demokratische.
Die Demokratie ist das Gewand der Freiheit. Sie ist die beste Staats-
verfassung, wenn ihr der moralische Inhalt, ein moralisches Gemeinwesen
die Füllung verleiht. Und eben deswegen, weil sie sozusagen nur die
Endverfassung sein kann, das letzte Ziel, in das alle Staatsgebilde aus--
laufen müssen, ist sie immer in Gefahr, die schlechteste zu sein, wenn man
sie einem erst noch zu erziehenden Volke ausliesert. Wie der Apostel
Paulus vom Gesetze als dem Zuchtmeister auf Christus spricht, so dürfen
wir auch von einer starken monarchischen Regierungsgewalt, wenn sie
nicht selbstherrlich das Wohl des Volkes ihrer eigenen Willkür ausopfert,
sondern dem Ziele entgegenstrebt, das politische Gewicht immer mehr auf
die Schultern des Volkes selbst zu legen, aussagen, daß sie die Menschen,
so wie sie nun einmal sind, sicherer ihrer politischen Bestimmung entgegen-
führt, als die Demokratie. Das gilt nun — bei allen Abstrichen, die
hier wie überall gemacht werden müssen — von der deutschen Regierung
in ganz besonderem Maße. Wenn überhaupt eine Regierung im heutigen
Staatenkomplexe, ist sie imstande, der Freiheit ihres eigenen Volkes und
damit, — bei dem maßgebenden Einfluß, den sie für die Welt erlangt
hat — auch indirekt der der andern die Pforte aufzutun. Es gehört dazu
vor allem, daß sie die beispiellos günstige Konstellation der Krästegruppen
im deutschen Staatswesen nutzbar zu machen versteht sür die moralische
Wertung des Lebens, daß sie zunächst durch die bis dahin vernachlässigte
Inanspruchnahme der Moral für ihre eigenen Regierungsmaßnahmen das
Beispiel des neuen, der Freiheit zustrebenden Lebens gibt.

Zürich H e r ma n n K u t t e r

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