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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1916)
DOI Artikel:
"Militarismus", [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0131

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Seite des Phänomens darstellt, umfaßt nahezu hundert Seiten! Ich muß
mich mit dem Hinweis begnügen, daß dieses Wesen bei weitem keine so
einfache Sache ist, wie es Politiker vor dem Kriege und Kriegsschriftsteller
während seiner glauben machten. Line große Literatur will durchgearbeitet,
eine reiche Ersahrung durchdacht sein, ehe man hier einigermaßen zu
Ergebnissen kommt. Was hier geboten werden konnte, ist nichts als die
notwLndige Ergänzung aller Sachstudien, gleichsam die reingeistige Rüstung
für sie, die Zubereitung der Begrisflichkeit, die Instandsetzung der kriti-
schen Logik. Sie hat nur einen Anlaß, der sie zugleich in ihrer sachlichen
Beschränktheit entschuldigen möge: die Annahme, daß heute, nach der
Verkehrung und Ausrüttelung des deutschen Denkens über das Verhältnis
zwischen Heer und Staatsbürgertnm, zwischen Wehrpslicht und Volk der
Boden für eine gewisse Klärung bereitet war.

T

^on einer Hosfnung aber sei gesprochen.

^Nachdem der Krieg die einseitige vorkriegliche Aussassung der Wir-
kungen des Heerwesens zersetzt und die Blicke auf wesentlich andre Er-
scheinungen gelenkt hat — wie hat man sich die Zuknnst zu denken?
Ls wird Optimisten geben, welche den ehemaligen Kampf ein sür allemal
sür erledigt und überwunden halten. Sie bedenken nicht, daß innerpolitische
Äberzeugungen von den Tatsachen der inneren Politik abhängen. Mit
andern Worten: damit, daß Viele jetzt einmal die andre Seite sehen,
ist die eine noch nicht aus der Welt geschasft, selbst wenn die sehend
Gewordenen mit aller Krast der Aberzeugung nun den Verfechtern der
alten Anschauungen entgegentreten werden. Ein heißer Kamps wird ent-
brennen. Ilnd er wird eins zur Folge haben: die Gegner des Militaris-
mus haben übertrieben, nun werden auch seine Freunde übertreiben. Lar-
sens ungeheuerliche Abertreibungen, Goldmanns unermeßliche Spekula-
tionen geben heute schon einen Vorgeschmack davon. Von den alten
Gegnern des Militarismus wiederum werden manche etwaige üble Er-
sahrungen aus der Kriegszeit, von denen jetzt niemand spricht, dergrößern
und verallgemeinern/ Demgegenüber sei eine Erinnerung erlaubt. Wie
immer ein Heer in einer Nation organisiert sein möge, keine Organisation
kann auf die Dauer eine Nation innerlich so umgestalten, daß ihr eigent-
liches Wesen entstellt würde. Das Lob des Militarismus ist immer zu
drei Vierteln ein Lob des deutschen Volkes, wie es nicht durch seine Heeres-
organisation wird, sondern wie es veranlagt war. Die Kritik am Mili-
tarismus geht ebenso zn sehr großem Teile aus Ligentümlichkeiten des
Volkes, die keine Heeresorganisation erschafsen, sondern die höchstens eine
nutzen und stärken kann.

Prof. I. Iastrow spricht in seinem Buch „Im Kriegszustand" einmal
von all den trefslichen Versicherungorganisationen, in denen Deutschland
Europa so weit voraus war. Aber diese gesetzgeberischen Akte, so sagt er,
haben nicht „wie eine Ossenbarung gewirkt". Die organisatorische Wir-
kung ist nur eingetreten, „weil die Tendenz ohnedies im Volkscharakter
lag". Tausende von Organisationsvereinigungen haben von jeher Deutsch-
land gekennzeichnet. Kaum war die Knebelung des Vereinrechtes durch
den Absolutismus endlich in freierer Zeit überwunden, „da sprudelte auch

* Auf diese Wahrscheinlichkeit deutet unter anderem der ungemein fesselnde
Beitrag des Staatslexikons der Görresgesellschaft hin.

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