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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 15 (1. Maiheft 1916)
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Lemke, Bruno: Freideutsche Jugend nach dem Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0133

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und Gegensatz schwankt jedes ihrer Lrzeugnisse. Die Iugendbewegung
wurde stark als ein Neues empsunden, weil sie abwich vom Strom der
Zeit. Aber sie grifs auf Ältestes zurück, in ihrem Inhalt sowohl — das
Vagabundieren, das träumerische Schweifen durch Feld und Wald, mit
offnem Aug und Ohr, ist immer deutsche Art gewesen — wie in der Form,
die sie vom Scholaren, vom Handwerksburschen, vom Studenten entlieh.
Was also war an ihr „neu"?

Es scheint: nur eben die Tatsache, daß sie auftrat, als Bewegung
auftrat. Als solche aber müssen wir sie in die H a u p t strömung unserer
Zeit einreihen: als eine Form der Bewegung, die zur Gemeinschaft strebt,
überhaupt. Das ist es, was uns hoffen, ja, fast mit Sicherheit voraussagen
läßt, daß sie weiter bestehen, ja, daß sie ihr volles Wachstum erst noch
erleben wird.

Wenn — ja wenn. Gefahren sind genug zu erkennen. Man braucht
nicht einmal Physiker zu sein, um der „actio^ die „reactio" vorauszusagen.
Hier erblicken wir sie bereits am Werk. Es soll durchaus nicht bestritten
werden, daß die militärischen Iugendbünde in ihrer Art leistungsfähig sind,
aber wer hier das eine will, kann das andere nicht ohne Besorgnis über-
mächtig werden sehen. Die eine Bewegung unter dem treibenden Schutze
des Staates, die andere mindestens ohne ihn, ist da nicht die eine über--
mächtig?

Äberzeugt, daß die freideutsche Bewegung einen pflegenswerten Keim
enthält, der allem bloßZivilisatorischen, Technischen, Staatsorganisatorischen
gegenüber recht zart geartet ist, möchte man ihr gern einen gedeihlichen
Mutterboden suchen. Er ist, wenngleich scheinbar im Gegensatz zu ihrem
ganzen Tun und Treiben, zum liebevollen Versenken ins Vergangene, Alt--
väterliche — er ist in den modernen sozialen Strömungen zu finden.

Oder er ist überhaupt nicht zu finden.

Man wird mich nicht mißverstehen: mit politischem Sozialismus hat
das nichts zu tun.

Etwas andres ist ernsthaster abzuweisen: es gibt seit langem Kreise,
welche die Iugendbewegung, mindestens ihre älteren Iahrgänge, für die
„soziale Arbeit" in Anspruch nehmen möchten: Volksausklärung, Arbeiter--
kurse, Innere Mission, Kinderhorte. Also für schöne und große Aufgaben.
Aber vor allem muß die Iugend doch selber was werden.

Wie denn? Indem sie dem neuerwachten „dunklen Drange^, selbst
etwas zu werden, selber nachgeht, aber in Gemeinschast.

Und wieso liegt hierin etwas überzeugend Neues und Kräftigendes?

Es ist, wie älles wirksam Neue, „immer dagewesen", wir sollen es nur
bewußter ausfassen und in den Dienst der Sache stellen lernen. Es sei er--
laubt, den lateinischen Spruch auf den Kopf zu stellen: nicht durch die
Schule, durch das Leben lernen wir! Vielleicht gibt das nicht jeder zu,
aber jeder Lehrer, jeder Vater ärgert sich wenigstens darüber, daß „der
Iunge soviel an dummen Streichen von seinen Kameraden in der Pause
lernt.^ Fragen wir naiv: warum, so wird man auf die „Andersartigkeit
des Lernstosses", oder gar aus die „Verderbtheit des Menschen von Iugend
auf" verwiesen. Vielleicht ist das aber nur ein Aberglaube. Alle großen
Pädagogen haben uns aus die beiden Grundtatsachen der Erziehung
(die in den Wurzeln eins sind) hingewiesen: Anschauung und Beispiel.
Damit ist das ganze Geheimnis erschöpft, und damit ist auch angegeben,
was die Iugendbewegung so fruchtbar gemacht hat: das Wissen in ihr um

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