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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 15 (1. Maiheft 1916)
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Die Frau und die Tracht von heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0140

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es zuwege gebracht, daß diese und jene Pariser „Neuheiten" nicht
durchgedrungen sind, wieviel mehr kann das die bewußte Arbeit
leisten!

Fünftens: „Die Behauptung, daß die »Frauenbewegung« sich nicht um
die Kleidungs- und Modefrage kümmere, ist falsch. Der »Verband für
deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur« beschästigt sich fortgesetzt da-
mit. Lr hat schon am 23. Mai rn der »Kölnischen Zeitung« auf das
Unzeitgemäße der weiten Röcke hingewiesen." Wir möchten ausdrücklich
betonen, daß wir den genannten Verband ausnehmen, wenn wir die
Gleichgültigkeit der „Frauenbewegung^ in Modesachen bedauern. Wir
haben den Teil der Frauenbewegung im Auge, an den man bei diesem
Wort vor allem denkt: den, der sich mit den politischen, wirtschaftlichen
und pädagogischen Problemen der Frau beschäftigt. Wir halten es für
einen Mangel, daß dieser Teil, den man als den wesentlichen der Frauen-
bewegung empfindet, für die Bestrebungen des „Verbandes für deutsche
Frauenkleidung und Frauenkultur^ so wenig übrig hat. Line Vertrete-
rin des letzteren gibt selbst ausdrücklich zu, daß „die Frauen der politi-
schen Frauenbewegung den Kampf für eine vernünftige Kleidung als
eine minderwertige Arbeit betrachtet haben."

Wir behaupten: in der politischen Frauenbewegung hat man noch nicht
durchgehends begrisfen, daß das Problem der Frauenkleidung sowohl volks-
wirtschaftlich wie volkserzieherisch hervorragend wichtig ist. Es
herrscht immer noch die Auffassung vor: Mode sei Sache des „Luxus-
hündchens" und der kleinen Durchschnittshaussrau, die „ernste" Frau habe
Wichtigeres zu Ledenken. Man sehe sich doch die Vortragsthemen und
die Zeitschriftenaufsätze der politischen Frauenbewegung durch: was herrscht
da vor? Frauenstimmrecht, Berufstätigkeit der Frau, soziale Fürsorge,
Frauenstudium, Mädchenschule usw. Es fällt uns wahrhaftig am wenigsten
ein, diese Fragen und die hochwichtige Arbeit für sie zu unterschätzen.
Aber wir sagen: die Beschäftigung mit der Frauenkleidung hat auch
ein gutes Recht. Die Regelung der Bekleidungsfragen ist ein sehr wich-
tiger Teil des gewaltigen tatsächlichen Arbeits- und Linfluß-
gebietes der Frau, wie es nun einmal — man mag es bedauern
oder nicht — durch den großen weltgeschichtlichen Prozeß der Arbeits-
teilung der Geschlechter einstweilen gegeben ist: der Konsumleitung.
Wir sind die letzten, die es den Frauen derwehren möchten, nach fernen
großen Zielen auszuschauen, aber wir betonen: mandarfüber Be-
strebungen um die Zukunft nicht den richtigen Gebrauch
der Macht vernachlassigen, die man für die Gegenwart
tatsächlich in Händen hat. Schon aus Gründen der Frauenpolitik
dürfte man das nicht. Denn Wert und Reife des Menschen wird nicht
so sehr nach den Wünschen und Bestrebungen beurteilt, die er fernen Idealen
widmet — dann wäre die halbwüchsige Iugend der reifste Teil der Mensch-
heit —, als vielmehr nach dem guten und vernünftigen Gebrauch seiner
vorhandenen Kraft. Allmählich geht ja ein Begreifen der ungeheuren
Wichtigkeit an Macht und Verantwortung, die die Frau als Konsum^-
leiterin hat, auch durch die politische Frauenbewegung. Aber die Wider-
stände sind noch groß, die alten Denkbahnen und Gefühlsweisen haben
eine zähe Kraft. Spöttische Urteile wie: Dienstmädchenarbeit, Haus-
frauenhorizont, Fortpflanzungsmaschine u. dergl. schwirren immer noch
reichlich durch die Luft. Immer noch ist ein Entwerten dessen weit-

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