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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 15 (1. Maiheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0142

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mns in das neue Papier so sehr ge-
funden haben, daß es dann mehr
als Papier fnr uns ist. Daß es
wirklich die Anweisung auf das reale
Gut gibt: eine Stunde Tageslicht
täglich mehr.

Eine Stunde Licht mehr am Tage,
das ist viel. Es bedeutet sür gar
nicht wenige Fälle, daß sich einer
nun noch im Freien der Schönheit
der Welt im Leuchten erfreuen kann,
„was die Wimper hält", der sie sonst
nur im Dämmer oder Dunkel be-
treten könnte. Es bedeutet Spät-
nachmittagsgold und Abendsonnen-
rot im Grün. And daß man näch-
sten Tages beim Ausstehen die Erde
sieht, wie sie noch in Morgensrische
glänzt bei Silbernebel oder Tau.
Es bedeutet wieder einen Schritt
Annäherung des Menschentagelauss
an den Tagelaus der Landschast. Ls
bedeutet wieder einen Schritt zum
Natürlichen hin.

Abertausende haben solch einen
Schritt ihrerseits draußen im Felde
getan. Menschen aus Straßenge-
wirren, die nur vom Hörensagen noch
von Frühlingsblumen, von Kornfel-
dern, von Lerchengesängen wußten,
lernten sie zwischen den Kämpfen
wieder kennen. Andere Tausende
kommen jetzt in Hausgarten oder
Laubenkolonie bei Kriegsgemüse und
Kriegssalat zu Ahnungen davon, wie
viel schöner es ist, selber dergleichen
zu bauen, als es zu kaufen. Möge
auch die „Sommerzeit" ihnen allen
wieder ein Stück dazu helfen, daß
aus Wohnplätzen Heimaten wer-
den! smf A

DieKirchenkantatenIohann
Sebastian Bachs

Zur Pflege der ätteren Mustk 5

ie großen, eine ganze Welt er-
schütternden Ereignisse unserer
Zeit lassen auch die Kunst nicht un-
berührt; sie wird gerade in diesen
schweren Tagen so gut wie unent-

behrlich. Für diesmal sei hingewie-
sen auf eine noch immer nicht hin-
reichend bekannte Gruppe von Wer-
ken Bachs. Seine Kirchenkantaten
enthalten Musik, die den gesamten
Grundcharakter von Zeit und Volk
zum restlosen Ausdruck und dem ties-
sten, leidenschaftlichsten Empsinden
zum erlösenden Wort und Ton ver-
hilst. Was deutsche Herzen heute
bewegt, was deutsche Frauen und
Mütter erbaut, tröstet und stärkt,
was deutschen Männern und Iüng-
lingen Mut und Kraft bis zum sieg-
reichen Aushalten verleiht, hat Bach
als kostbares Vermächtnis in seinen
SOO Kirchenkantaten dem deutschen
Volke hinterlassen. Der Behandlung
der religiösen Fragen, die sich aus
enger Angliederung der Kantaten an
das christliche Kirchenjahr ergab, hat
er sich mit hoher Inbrunst und ties-
ster Begeisterung hingegeben. Mit
inbrünstiger Leidenschastlichkeit ver-
senkt er sich in das unerklärliche Ge-
heimnis des Todes. Die Seele geht
völlig aus in den Herrn, in Gott,
übersinnliche Stimmungen wie in
Beethovens langsamen Sätzen der
letzen Quartette werden hervorgezau-
bert. Es sind die zahlreichen, wun-
derbar schönen Kantaten, die man
nicht zu Rnrecht als „Deutsche Re-
quiems" bezeichnen könnte. Aus
dem Versenken in Gott (Sanctus,
Benedictus) schwingt er sich in hell-
sten Iubelklängen (Gloria in excel-
sis) zu den höchsten Sternen aus,
wo ein lieber Vater wohnt, den dort
oben glaubensvolle Herzen (Lredo)
suchen, der uns alle unsere Ansech-
tungen überwinden und uns obsiegen
läßt, der uns tapser und sest in Hof-
fen und Harren erhält. Das sind aber
alles Gedanken und Empfindungen,
die nicht besondere, engere Kreise
der christlichen Kirchen abgrenzen.
Urchristentum, ja Urglauben aller
Gottsucher und -anbeter haben wir
in diesen „Bach-Requiems" vor uns.
Line von interkonfessionellen Grund-

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