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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 16 (2. Maiheft 1916)
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Schlaikjer, Erich: Der Dichter als Journalist
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0180

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Kritik üben dürfe, daer allzu stark mit seiner eigenen Kunstaufsassung
vertvachsen sei. Eben weil er dichterisch produktiv sei, könne er poetischen
Naturen aus andern geistigen Welten nicht gerecht werden. Diesen
Einwand nehme ich nicht sonderlich ernst. Die dichterische Persönlichkeit
ist in sich selber begrenzt, das ist jede andre aber auch. Einen neutralen
Spiegel, der mit gleicher Kraft alle Gattungen der Poesie widerstrahlte,
gibt es nicht. Wenn jemand eine kritische Persönlichkeit ist, hört er
schon dadurch auf, neutral zu sein, und ist also in der gleichen Lage wie
der Dichter. Wir halten es in diesem Fall mit Iean Paul, der in seiner
Asthetik meint, daß die beste produktive kritische Arbeit immer von den
produktiven Dichtern geleistet worden sei. Ein Dichter hat nun einmal
ein tieseres Verhältnis zu einer Dichtung, als ein noch so gelehrter Kritiker,
der kein Dichter ist. Ein Drama hat (so ungefähr sagt Hebbel) ebensoviele
Zimmer unter der Erde als über der Erde. Der theoretische Kritiker
kennt gelegentlich nur diese, der Dramatiker aber auch jene. Wenn sich
Dichter in die Presse hineinretten, werden sie im allgemeinen den Gehalt
der Kritik verbessern. In diesem Umstand erblicke ich sogar den wert-
vollsten Teil des ganzen Vorschlags.

Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß ein Dichter politische Leitartikel
schreibt. Sofern er sich aber in seiner Eigenschast als Dichter in die Presse
„rettet^, wird seine natürliche Betätigung auf dem Gebiet der künst-
lerischen Kritik liegen. Für was für eine Art von Kritik soll er
sich dann entscheiden? Die Theaterkritik braucht ihm nicht zu lie-
gen, weil das Drama seinem Talent fern liegen kann, die Buchkritik
aber wird so elend bezahlt, daß sie in einer ungeheuren Anzahl von FLllen
Dilettanten in die Hände geraten ist, die sich über das Rezensionsexemplar
freuen. Es müßte einmal von berufener Stelle diese wirklich lüderliche
Wirtschast mit rücksichtsloser Offenheit besprochen werden. In unserm
Zusammenhang interessiert uns nur die Tatsache, daß man ungefähr
ebensogut von lyrischen Gedichten wie von Buchrezensionen könnte leben
wollen. Einträglicher ist die Theaterkritik, obwohl nicht mit linrecht auch
hier stellenweise über eine geradezu elende Bezahlung geklagt wird. Es
haben sich ja sogar dramatische Autoren gefunden, die in kaum verhüllter
Form geltend machten, man sollte die Theaterkritiker besser süttern, da-
mit sie freundlicher schrieben. Immerhin: wenn jemand es als Theater-
kritiker zu einem Namen von Rang bringt, wird er in den meisten Fällen
von seiner Arbeit auch leben können. Er wird dann aber auch so gut
wie sicher als Dichter Dramatiker sein. Und was dann? Möglich
immerhin, daß er als Kritiker seine Aberzeugung rein ausleben kann, ohne
seinen eignen Dramen zu schaden. Mir und andern ist es leider nicht
so gut geworden. Um unsre kritische Ehre zu wahren, mußten wir so
hart wie nur immer möglich gegen das herrschende Theatersystem an--
kämpfen, und was das für unsere Dramen bedeutet hat, braucht nicht näher
ausgesührt zu werden. Die ^Rettung" sieht dann einem Gehenktwerden
verzweifelt ähnlich. Nur daß freilich dann der journalistische Beruf auch
seine versöhnende und große Seite offenbart: man stirbt gut, wenn man
in einem ehrlichen Kampf für eine redliche künstlerische Sache fällt.

Soll man also selbständige literarische Feuilletons schreiben?
Es könnte ja angehen, daß ein Dichter, der eine stimmungsschwere Prosa
schreibt, auf diesem Gebiet Lrfolge hätte. Aber es gibt auch auf diesem
scheinbar neutralen Boden viele versteckte Fußangeln. Der Iournalist
 
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