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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1916)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Rethel: zum 15. Mai 1916
DOI Artikel:
Rauh, Sigismund: Pädagogische Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0183

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Geisterhauch, was um das einzelne Dargestellte länderweit geschieht, was
vorher war und was kommen wird. Die Ausschnitte haben, so klein sie
sind, Hintergründe wie Unendlichkeiten. Hier arbeitete wohl das eigentlich
Geniale in Rethel. Ls ließ ihn die großen Momente ja auch als Einblicke
in die Werkstatt der Gottheit mit Schaudern und Grauen empfinden.

Von Schauern durchflossen war Rethels Leben stets, und so war der
Großseher des Geschichtlichen aus seinem Wesen heraus berufen, auch
den ewigen Beender der Menschengeschichte ins Sichtbare zu bannen, den
Tod. Daß er ihn nicht antik als Genius, daß er ihn christ-asketisch als
Skelett sah und dennoch bis zum „Tode als Freund" überwand, ist in
dem so genannten Werk das Aussallendste, nicht das Höchste. Das Höchste
liegt in der Kunst ja nie in einem „Daß", liegt immer in einem „Wie".
Hier in diesem Schauen einer Phantasie, welche das Geripp, das vom
Pilgermantel verdeckt ist, ^n Stufen- und Mauerwerk überall ahnen läßt —
aber als Erfüllung dessen, was der Vogel singt und die untergehende
Sonne scheint. Doch den Frieden hatte sich Rethels Todesgedanke erst
erkämpst, und seine übrigen Todesbilder sind die unmittelbaren Zeugnisse
des Kampfs. Mit Ausnahme des schwächsten, des „Todes als Diener",
sind sie allesamt Geschichtsbilder, auch der „Tod als Würger^ ist eins,
der den Pariser Maskenball, auf dem die Cholera ausbrach, zur symboli-
schen Vision erhob. Ein Werk, das gefüllt ist mit Gräßlichem, mit Ent-
setzlichem, und in dem doch alles Stoffliche so durchgeistigt ist, daß wir
es als Mittel, als Sprache, daß wir am Werk überhaupt nur den Geist
fühlen, der da redet. Und so auch im achtundvierziger Totentanz, nach
aller Sachkenner Meinung der mächtigsten künstlerischen Schöpfung, welche
die Revolution von damals gebildet hat.

Ia: was hätte Rethel noch schaffen können! Aber HLtte er das
schasfen können, was er hinterließ, wäre der Dämon als Auswühler der
Tiesen nicht schon in ihm gewesen? Wer kann das sagen, und wer mag
beim Gedanken an so Unsicheres trauern! Mit seinem Stärksten steht
Rethel einsam ida, ohne Vorläufer, ohne Nachsolger. Der Gedanke schon
an eine Rethelsche Richtung verspottet sich selbst. Wären aber von der
deutschen Kunst des vorigen Iahrhunderts auch nur die Todesbilder er-
halten, sie würden über den Meeren der Zeit von dem Ewigen in deutscher
Kunst zeugen. A

Pädagogische Kultur

^^v^-enn Kultur Einklang der Lebensumstände ist, so ist es klar, warum
^/V Hder Zivilisation der letzten Iahrzehnte die Lrhebung zur Kultur
mangelte, so ist aber auch klar, um wieviel der Krieg uns auf dem
Wege der Kultur vorwärts führen muß.

Die Lrziehung früherer Zeiten war Vereinseitigung, die unserer jüngften
Vergangenheit Vervielseitigung. Einst erzog man nicht „Menschen", gar
„allgemein gebildete" Menschen, sondern Kavaliere oder Gelehrte oder
Bürger oder Bauern. Die Aufklärung versuchte diesen ständischen Er-
ziehungsidealen das allgemein menschliche, das „humanistische", unstän-
dische, damit demokratische Erziehungsideal entgegenzustellen. Sie ver-
suchte das. Aber selbst Rousseau lehrt ausgesprochnermaßen nur Erziehung
eines „reichen Zöglings"; „der Arme hat keine Erziehung nötig^. Zwar
stellt er auch den humanistischen Grundsatz auf: „Die naturgemäße Er-
 
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