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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1916)
DOI Artikel:
Rauh, Sigismund: Pädagogische Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0186

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als s! Freilich unsere Lehrerschaft hat zum guten Teil ehrlich gegen diese
^eräußerlichung angekämpft; aber da war sie denn immer in Gefahr,
suit einem gewissen Recht „rückschrittlich" gescholten zu werden. Sie konnte
la Voch bei dem herrschenden System nichts weiter tun, als an dem freilich
deralteten Wesen der Gelehrten- oder der „Elementar"-Schule festzuhalten.
^nd das Volk, die Elternschaft im großen Ganzen, forderte die Ver-
außerlichung. In einer Gesellschaft aus höheren Kreisen wird das „aka-
demische Alter" nach dem Termin des Abiturientenexamens bestimmt; da
stellt sich heraus, daß ein Mitglied kein Abiturium bestanden hat. Pein-
liche Verlegenheit! Ein Immaturer! Man geht taktvoll darüber hin.
Dem Manne fehlt der Eichungsstempel für sein Bildungsquantum. „Ich
bin gebildet", das ist unter uns ein Persectum historicum, kein Perfectum
praesens.

Was nun? Wir können nicht zur alten Standespädagogik zurück,
wir können es nicht einmal wollen. Was ist doch der Grundfehler unsrer
Zeit gewesen in dieser wie in allen Fragen? Die pöbelhafte Aberhetztheit,
die Eile des Parvenüs, der Früchte nicht wachsen lassen kann, das Voraus--
jagen des Bildungsstoffs vor der Persönlichkeitsgestaltung. Also vor allem
einmal endlich jetzt: Halt! Wahrhaftig, unfere Iugend lernt genug — will
heißen satis multa! Man lehre sie wieder multum! Schon Herbart hat
richtig erkannt, daß eine allgemeine Bildung nicht allseitig, sondern nur
vielseitig sein kann. Es ist ein Wahnsinn, Lebenswichtigkeit und Schul-
wichtigkeit in unserer tausendgestaltigen Zeit einfach gleichzusetzen. Man
lehre lieber drei Dinge als dreißig; es ist mehr.

Aber das ist nur negativ. Und zu allen Zeiten haben negative Maß-
stLbe keine Gestaltungskraft gehabt. Man gießt eben schmutziges Wasser
nicht weg, ehe man reines hat. Wir müssen vielmehr einen neuen Er-
Ziehungszweck suchen. Ich habe nicht etwa jetzt einen solchen vorrätig
in der Tasche, den ich auf diesem Wege empfehlend an den Mann bringen
wollte. Auch im Zwecksetzen sollen wir uns Zeit lassen. Aber wir sollen
unsere Blicke von dem nur quantitativen Maßstab der allgemeinen Bil-
dung fort auf qualitative Erziehungswerte richten, auf daß sich eine neue
Pädagogische Synthese bilde. An Elementen dazu mangelt es nicht.

Der nationale Gedanke. Und der wird sich in der Lrziehungslehre der
kommenden Zeit mit oder wider Willen der Theoretiker ganz von allein
in den Vordergrund schieben. Das Befeinden und Verleumden allen
deutschen Wesens durch Feinde und Neutrale hat uns mit einem Schlage
aus Allerweltsträumern zu „Nationalisten" umgeformt. Deutsche Er-
Ziehung — das sagt nichts von Lehrstoffmengen und neuen Stoffgebieten
(wie manchmal fälschlich in ihre Reihen geratene Vorkämpfer der „Staats-
bürgerlehre" vermeinen), das will vielmehr den Blick von dem Quantum
des zu Lernenden ab auf die Art des Lernens und das Ziel der Erziehung
hinlenken. (Vorzüglich zeigt diesen Weg Kabisch in seinem „Erziehenden
Geschichtsunterricht").

Körperpflege. Wieder ist es mit der dritten Turnstunde (die eine präch-
tige Grundlage ist) nicht etwa getan. Die Augen für die Schönheit
And Gesundheitskraft des Körpers zu öffnen ist hier auch notwendig.

Arbeitsschule. Nnd vielleicht ist dieser Kerschensteinersche Gedanke trotz
des augenblicklichen Aberwiegens des völkischen Ideals auf die Dauer
am meisten geeignet, als Kristallisationsmittelpunkt für die Bildung des
neuen Erziehungsziels zu wirken, weil er von Hause aus ein erzieherischer
 
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