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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 16 (2. Maiheft 1916)
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Joos, Joseph: Heimstätten und Arbeiterschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0188

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komrnen der Minderbemittelten. iO bis Prozent genügen längst
nicht mehr. Die erwähnte Kölner Statistik berechnet den Anteil der Miets-
preise auf 27 v. H. bei Einkommen bis zu 660 M., auf 26 v. H. bei Ein-
kommen von 660 bis 900 M., auf 20 v. H. bei Einkommen von 900 bis
f500 M. Die Armsten bezahlen die teuerste und zugleich die schlechteste
Wohnung. Alle Erhebungen der letzten Iahre haben die Tatsache der
Lxistenz dieses grausamen Gesetzes erhärtet.

Ganz außerordentliche Mißstände zwangen vor dem Krieg unsere katho--
lischen Arbeitervereine in Dortmund, sich näher umzusehen. Zum s. April
sM mußte daselbst eine große Zahl von Familien durch die Polizei-
verwaltung in Armenhäusern, Turnhallen, im Obdachlosen-Asyl und im
Gerichtsgefängnis untergebracht werden. Die Wohnungsnot hatte da ihren
höchsten Punkt erreicht. Nur 0,3 v. H. der Wohnungen war leer. Die
Folge davon war nicht nur eine Aberfüllung der Räume, ausgedehntes
Kost- und Logiergängerwesen, sondern auch umfangreiche Steigerungen der
Mietspreise. In rund 380 FLllen von tausend war während der Dauer
der Mietszeit die Miete erhöht worden, und zwar in 293 Fällen von
50 Pfg. bis 3 M. im Monat. Die Folge davon war außerordentliche
Umzugshäufigkeit. In 50 v. H. der untersuchten FLlle waren die Familien
schon innerhalb eines Iahres umgezogen. In dem Dortmund benachbarten
Berghofen drohte ein Hausbesitzer einer Familie Räumungsklage an, wenn
sie nicht binnen drei Tagen das kleine Kind aus der Wohnung entferne,
da die Wohnung ohne kleine Kinder vermietet worden sei!

Wie wird es nach dem Krieg werden? Die Bautätigkeit für Woh-
nungszwecke ist ins Stocken geraten. Die zu Haus gebliebene Bevölke-
rungszahl ist durch Aberschuß an Geburten nicht unbeträchtlich gewachsen.
Tausende besser situierter und mittlerer Leute haben infolge wirtschaftlicher
Kriegswirkungen ihre größeren Wohnungen nufgegeben und sich in die
Kategorie der Kleinwohnungen hineingedrängt. Das wird auch geraume
Zeit nach dem Kriege so bleiben. Fehlt nur noch, daß wirklich das ein-
tritt, was Kenner der Verhältnisse zu erwarten scheinen, eine Abwande-
rung aus den östlichen Provinzen in die Städte und Industriereviere.
Damit müßten sich die bisher schon so tief beklagenswerten Abelstände
im Wohnwesen zu einer Katastrophe auswachsen. Mit welchem Erfolge
alsdann die Familien der Kriegsbeschädigten den Wettlauf um ein Obdach,
von einem Heim nicht zu reden, mitmachen könnten, wie zumal die
kinderreichen Familien, darüber kann leider kein Zweifel sein.

Der Zentralverband deutscher Eisenbahner (Sitz Elberfeld) hat im vor-
letzten Iahre dem Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten und dem preußi-
schen Abgeordnetenhaus eine Denkschrift über die wirtschaftliche Lage der
Eisenbahn-Hilfsbeamten, Handwerker und Arbeiter vorgelegt. In dem
Kapitel über die Wohnungsverhältnisse folgen sich stereotyp die Wendun-
gen: „Familien mit vielen Kindern können oft keine Wohnungen be-
kommen^. „Familien mit vielen Kindern können oft nur schwerlich Woh-
nungen bekommen". „Wer viele Kinder hat, hat Schwierigkeiten, Wohnung
zu bekommen." „Für kinderreiche Familien sind fast keine Wohnungen
zu haben." Ganz unzweifelhaft haben sich die Wohnungsschwierigkeiten
der kinderreichen Familien im letzten Iahrfünft in auffallendem Maße
vervielfacht. Das fluchwürdige Gebaren, kinderreiche Familien abzuweisen,
trifft gerade nnsere Arbeiterbevölkerung in voller Schärfe. Es ist ein
Irrtum, anzunehmen, daß diese Volkskreise „es ja nicht so sühlten", die
 
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