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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 16 (2. Maiheft 1916)
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Joos, Joseph: Heimstätten und Arbeiterschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0191

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freilich ist möglich, d. h. bis zu einern gewissen Grade durch das Mittel
der gewerkschaftlichen oder genossenschaftlichen Organisation. Gegen die
Grundursachen der Mietsteuerung und Wohnungsnot, gegen die Preis-
steigerungen in Grund und Boden indes war die Arbeiterbewegung bisher
machtlos. Machtlos gegenüber der wachsenden Lebensmittelteuerung.

Als mit Kriegsausbruch Hals über Kopf die Fabriken und Werkstätten
schlossen, die Männer dem Rufe des Vaterlandes gesolgt waren, da trat,
bei ach so vielen Arbeiterfamilien, sofort die Not über die Schwelle.
Ein kleiner Besitz, eine eigene Siedlung oder Heimstätte — und das Bild
ändert sich sofort. Die verdienstlose Familie kann sich mit ihrer in Ver-
ständnis und Liebe gepflegten eigenen Produktion an Lebensmitteln, her-
ausgewirtschaftet aus dem eigenen Garten und dazu gepachtetem Stück
Land, über Wasser halten.

Wenn die Lebensmittelversorgung unseres Volkes, im Frieden wie im
Krieg, sich so uußerordentlich schwierig gestaltet hat, so ist die Arsache nicht
zuletzt darin zu suchen, daß die Zahl der Lebensmittelerzeuger in Deutsch-
land ständig zurückgeht, während die der reinen Lebensmittelverbraucher
ständig zunimmt. Immer mehr Esser und immer weniger Erzeuger von
Lebensmitteln. Ie größer das Mißverhältnis zwischen beiden Gruppen,
um so mehr müssen sich gerade in einer zollgeschützten Volkswirtschaft natur--
gemäß die Preissteigerungen zeigen. In diesem Zusammenhang betrachtet,
gewinnt das Verlangen des dritten Berliner Arbeiterkongresses nach
Förderung der Eigenproduktion an Lebensmitteln in der Arbeiterbevölke-
rung seine besondere Bedeutung auch für die Kleinsiedlung und für die
Heimstättenbewegung. Der Krieg war auch hier ein gewaltiger Lrwecker
geworden. „Schafft Kriegsgärten, im Interesse der Minderbemittelten
und des bedrohten Vaterlandes. Kein Plätzchen Erde bleibe unbenutzt!",
so erscholl es durchs ganze Land. Schön, aber der gute Rat fand nur zu
schnell die Grenze, worüber hinaus er nicht Leben gewinnen konnte. Was da
an brauchbarem Land aus spekulatiden Gründen seit Iahren zur Anfrucht-
barkeit verdammt gewesen, konnte der Spekulation nicht im Handumdrehen
entrissen werden, und wenn schon, nicht in wenigen Monaten tausend-
fältige Frucht bringen. Wir haben ja die Kriegsgartenbewegung auch als
Arbeiterorganisation kräftig unterstützt. Indes, was da herauskam, war
doch dem berühmten Tropfen auf den heißen Stein sehr ähnlich. Hätten
wir auf ein Iahrzehnt erfolgreicher Ansiedlungspolitik zurückschauen können,
dann wäre der Lebensmittelmarkt nicht derart von den Konsumenten be-
lastet worden, wir wären vor solch beispielloser Teuerung und vor schlim-
meren Dingen bewahrt geblieben.

Und noch ein Gesichtspunkt, der an Wert alle anderen überragt: er ist
in seiner Art der höchste und erfaßt das Problem am tiefsten. Es liegt
in der Natur der Sache, daß die industrielle Arbeit mehr und mehr
mechanisiert wird, nicht in allen Berufen und nicht überall in gleichem
Maße, aber der Mechanisierungsprozeß geht unstreitig vor sich^ und immer
weitere Hunderttausende von Industriearbeitern bedürfen nicht mehr einer
beruflichen Ausbildung, sondern nur mehr der Anlernung von Handgriffen,
von tzantierungen. Der Arbeitsprozeß wird rationell zerlegt, die Teilarbeit
das Vorherrschende. Kann nun ein solcher Teilarbeiter, der Tag für Tag,
Monat für Monat, Iahr um Iahr ein und dieselbe Hantierung auszuüben
hat, ein inneres Verhältnis zu seiner Tätigkeit derart gewinnen, daß er
seelisch befriedigt und erfüllt wird? Wir können uns darum bemühen,

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