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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 17 (1. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Und immer wieder: Wucher
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0234

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Zuständen den Behörden anfgelastet. Die ganze Luft ist mit Empörung
angefüllt über irgendwelche Schuldigen, die man eigentlich gar nicht kennt.
Es entsteht eine allgemeine Verbitterung, die wiederum in den einzelnen
die mürrische Stimmung erzeugt: „Ist alle Welt so niederträchtig, warum
sollst d u anständig sein und vielleicht den Schaden haben? Sorge sür
dich!" Diese Auflösung des Bewußtseins von der Volksgemeinschaft und
vom unentrinnbaren, natürlichen Schicksal der Gemeinschaft in lauter ein-
zelne kleine Selbstsüchte ist, aufs Ganze gesehn, ungleich verderblicher als
irgendein zeitweiliger Mangel an Fleisch oder Butter.

All die einzelnen „Schuldbeweise", über die man sich erregt, beweisen
immer nur die längst bekannte Tatsache, daß es in allen Berufen Gauner
und Ilnfähige gibt. Die Verallgemeinerung etwa auf „die Landwirtschaft"
oder „den Handel" verwirrt nur und macht ungerecht. Sehen wir näher
zu. Wir lesen in ,der Zeitung, da und da erhielten die Landwirte für
Rinder oder Schweine soundso viel mehr als vorm Iahr. Sofort sind
wir bereit, dem Landwirt die „Schuld an den Wucherpreisen" zuzuschieben,
vom „unersättlichen Agrariertum" u. dergl. zu reden. Aber macht denn
der Landwirt die Preise? Man weist darauf hin, daß dieser oder jener
Gutsbesitzer sein Vieh oder seine Kartosfeln zurückhalte, weil er sie nicht
für den üblichen Preis geben wolle, also „mache" er teurere Preise. Das
kommt gewiß vielfach vor, überall da, wo einem Landwirt sein Gut nicht
so sehr die „eigene Scholle", das „Erbe der Väter" ist, als eben eine Art
Fabrik für Vieh, Getreide usw., also überall da, wo der kapitalistische Geist
in die Landwirtschast eingezogen ist. Trifft es aber für die große Menge
der Landwirte zu? Man redet gern von dem „Individualismus" und
dem „Geiz" des Bauern. Vergesfen wir darüber nicht, daß dem Bauern auch
ein starkes Rechtsgefühl eigen zu sein Pflegt. Er will natürlich gute
Preise. Erhält er die, so liefert er auch, das mit Risiko verknüpste Speku-
lieren auf vielleicht noch bessere Preise beschränkt sich auf einzelne, im
ganzen harmlose FLlle der „Schlauen". Gefährlich wird die landwirt--
schaftliche Spekulation erst da, wo sehr groß^e Produzenten, noch mehr,
wo große landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften in rein kapita-
listischem Sinne handeln. Hier also hätte gegebenen Falles die Macht
des Staates einzugreifen. Weit mehr aber wird der Preis der landwirt-
schaftlichen Erzeugnisse bestimmt durch die Aufkäufer und Iändler. Me
bieten den Bauern immer höhere und höhere Preise, je aufmunternder
hinter ihnen die Spekulation auf Mangel steht. SelbstverstLndlich nimmt
der Bauer, was man ihm bietet. Lr will nicht hinter dem Nachbar im
Verdienen zurückbleiben. ' Nnd so wird die kapitalistische Auffassung all-
mählich in die Bauern geradezu hineingetrieben.

Anderseits: auch der einzelne Kaufmann und tzandwerker, mit dem
der Käufer Zu tun hat, ist nur ausnahmsweise wirklich ein „Wucherer^.
Er mag sich oft genug im Gefühl seiner Wichtigkeit roh benehmen, er mag
hier oder da einen besondern Gewinn herauszuschlagen versuchen — auf
die allgemeine Preisbildung wirkt das kaum. Aufs Ganze sehend,
darf man ficherlich sagen, paß die Kaufleute und Iandwerker, die doch
persönlich mit den Käufern zu tun haben und sich in ungefähr den gleichen
Lebensumständen wie diese befinden, sich mit einem „auskömmlichen" Ge-
winn zu begnügen geneigt sind. Auch von ihnen geht kein besonders kapi-
talistischer Antrieb zu übermäßiger Ethöhung der Preise aus. Sie werden
vielmehr von dem Zwang, der in der allgemeinen Preisbildung liegt, mit-
 
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