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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Zum Kampf um das Gymnasium
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0239
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Zmn Kampf um das Gymnasium

in die Spalten der Lokalblätter hinein wird heute mit mehr oder
^R^minder Takt und Geschick versucht, die Bürgerschaft gegen das Gym-
nasium mobil zu machen. Die Gegner des Humanismus und des
Gymnasiums Haben heute den leichteren Stand. Sie können die natio-
nalistische Strömung der Zeit gerade, wo sie flach ist, gegen das „Fremdgut"
der Gymnasialbildung ausnutzen. Die andernorts sinkende Macht der moder-
nen Naturwissenschast gewinnt ihnen gerade auf schulischem Gebiete noch immer
neue einflußreiche Förderer und andachtige Hörer. Und weiter: Das Ver-
HLltnis der Zahl der Anterrichtstunden humanistischer FLcher zur entsprechen-
den Zahl andrer Fächer ist tatsächlich „erschreckend", wenn anch nur für die-
jenigen, welche Stundenzahlen und Bildunghöhe in einem Fach gleichsetzen
und überhaupt die Bildung eines Menschen blindlings an der Unterricht-
statistik abmessen oder mindestens alles irgendwie Lernenswerte auch ohne
Zaudern der Schule einsügen wollen. Noch mehr: im Anwachsen ist noch immer
die Zahl derjenigen Bildunggüter, die in der Schule noch nicht berück-
sichtigt werden. Man wird keine neuen Altklassiker mehr entdecken, die
in die Schule eingesührt werden können; und wenn — wer würde das
wagen, sie heute vorzuschlagen? Man wird auch keine neuen „formalen"
Bildungwerte humanistischer Stofse mehr ergrübeln. Aber auf andern
Gebieten braucht man nur zuzugreifen! Was ließe sich nicht alles ein«
sühren! Ganze Wissenschastzweige wie die Soziologie, die Volkswirtschaft,
die Ernährnngsphysiologie oder das Althochdeutsche. Dann die Einzel-
gebiete! Sollen unsre Iungen etwa nichts von Dürer, von der deutsch-
mittelalterlichen Kultur, von der politischen Geschichte der letzten Iahr-
zehnte, von moderner Stadtorganisation, von den Parteien des Landes,
von den Klassikern deutscher wissenschaftlicher Prosa, von den abertausend
Feinheiten und von der Entwicklung der deutschen Sprache ersahren? Nichts
von Geschoßbahnen, von moderner Technik, von Gasanstalten, drahtlosen
Telephonen und Anterseebooten? Es vergeht kein Tag ohne neue zwin-
gende Forderungen an die stoffliche Erweiterung des Anterrichts. And
was HLtte dagegen eher abzudanken als die anationale, längst in ihrer
Brüchigkeit erkannte, moralisch keineswegs einwandfreie, für die Bildung
des „modernen" Menschen allzu entbehrliche Antike?

Aus der anderen Seite ist es stiller. Noch sind die Freunde des Gym-
nasiums beati possidentes. Aber es möchte ihnen eines Tages ergehen wie
den Deutschösterreichern vor Taaffe; damals waren diese die regierende
Partei und waren, trotzend auf ihre Macht, gegen Forderungen der Zeit
und des politischen Kampfes „intransigent". Aber Nacht fanden sich ihre
künftigen Lntthroner zusammen, und heute noch ist das Deutschösterreicher-
tum weit entfernt von der ehemaligen Stellung! Haben die Humanisten
Mühe, neue Fürgründe für ihre Sache ausfindig zu machen, so hilft das
doch nicht von der Verpflichtung los, die alten zu befestigen und immer
wieder, neu geformt, vorzubringen. Die Technik des öfsentlichen Meinung»
kampfes, der LLrm des Streits fordert geistreiche und auch laute Verkünder,
auch für das Llteste und bewLhrteste Programm. Aber eins ist dabei zu
bedenken. Fehlgründe bedeuten gute AngriffsflLchen. Weg also auf
humanistischer Seite mit den Fehlgründen! Man könnte getrost sreiwillig
einige ausgediente Fürgründe den Gegnern preisgeben. Das würde Front-
verkürzung bedeuten.
 
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