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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 17 (1. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Zum Kampf um das Gymnasium
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0243

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nur ein paar ebenso kurze Anregungen erlaubt. Die angeführten Forde-
rungen für den Kampf sind zugleich Sachforderungen. Ihr Ziel: Reform-
humanismus. Welcher Triumph für die Altphilologen, wenn sie sich ent-
schlössen, vor den Deutschsprachlern von der unmöglich gewordnen Alt-
grammatik überzugehen zu einer phänomenologischen Lehrweise im Lateini-
schen und Griechischen! Wieviel ^schöner" wäre dann der Anblick ihrer
geliebten Sprachen für den Lernenden, wieviel gewinnreicher solches Lernen!
Einen Gewinn würde auch dies bedeuten, wenn aus dem Unterricht die
Kulturwertvergleicherei gänzlich schwände; die Zeit, die man etwa noch auf
Beweise dafür verwendet, daß Hellas herrlicher als Deutschland war, käme
vielleicht einer wirklichen Kulturvergleichung zugute, wie sie Prof. Cauer
in München vorschlug. Auch für die moralische Lrziehung wird man mit
Vorteil nur die unbestrittenen Vorbilder beibehalten: Sokrates, Solon,
Gracchus usw. Vielleicht war Demosthenes wirklich nur ein großer Rhethor
im löchrigen Advokatenmantel, Cäsar wirklich jenseit von gut und böse
der Bürgerlichkeit. Auch ohne bestrittene Größen bleibt für die Moral--
bildung genug. Und wieder könnte hier der Humanismus vorangehen,
während die Germanisten noch den grausamen Karl den Großen, den
wahnreicherr Friedrich Rotbart, den schlimmen Hagen, den treulosen Her-
mann mühsam ins Moralische umstilisieren.

Aber auch mit so grundsätzlicher Reform ist es nicht getan. Soweit ich
sehe, hat der Humanismus seine gute Sache nicht hinreichend fruchtbar
gemacht, nicht genug veranschaulicht. Man spricht etwa von der Möglich-
keit, das Wesen des sozialen Kampfes an antiken Ereignissen, vergleichend
mit zeitgenössischen, tendenzlos zu lehren; man erinnert an Pöhlmann und
Andere. Aber wo ist das sachlich reiche, gutgeschriebne, dem Achtzehnjährigen
verständliche Lehrbuch, in dem diese Anregung zur lebendigen Tat geworden
wäre? Man spricht mit bestem Recht nachdrücklich von dem ungeheuren
Einfluß der antiken aus unsre Kultur, so daß diese ohne jene nicht erfaßt
werden könne. Aber es fehlt an dem eindringlichen, für breite Kreise ge-
eigneten, leicht lesbaren und doch nicht oberflächlichen Werk, das diesen
Einfluß veranschaulichte. Es fehlt an sehr vielem dieser Art.

Anderseits vermißt man durchaus jene sehr notwendigen Auseinander-
setzungen, die der Allgemeinheit darlegen müßten, warum und wieso die
Beschäftigung mit einer anderen Kultur, einer grundsätzlich von der
unsern verschiedenen, nicht einmal in zeitlichem Zusammenhang mit ihr
stehenden, von unersetzlichem pädagogischem Wert ist. Eine Fülle von
Gesichtpunkten wäre da zu erschließen, vom einfachsten bis zum höchsten.
Was wir bisher geleistet haben, war Stückwerk. Es gibt herrliche Bücher
beispielweise über Platon, Sokrates, Athen, griechische Plastik, antike
Kultur, Kunst, Philosophie, Religion. Es gibt dasselbe über entsprechende
Werte andrer Zeiten und Völker. Kaum je aber wurde der Beweis ge-
führt, der wohl zu sühren wäre: daß ein Volk zu sich selbst nicht mit Hoch-
druck erzogen zu werden braucht, daß es der lebendigen Anschauung auch
andrer Völker bedarf, daß möglichst andre hierzu am besten geeignet sind
und daß gerade diese Verdoppelung des Gesichtseldes so den Sinn sür das
eigne Dasein wie für Daseinswerte überhaupt weckt. Es gibt psychologische
Gründe hiersür, geschichtliche Beweise, Argumente, die alles umfassen, vom
pädagogischen Ideal bis zum kleinen Maßnahmenbetrieb — vor deren
Gewalt tausend Segel gestrichen werden müßten.

Eine andre Rede wäre mutig aufzunehmen. Sie lautet: die Antike

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