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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 17 (1. Juniheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0250

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Bezähmung unvornehmer Neugier,
auf Betätigung richtigen eigenen Ur-
teils; sagt den jungen Deutschen, daß
es pöbelhaft ist, Neu- oder Fremd-
artiges zu begrinsen oder nachzu-
äffen; bildet in ihnen den Geschmack
für das Persönliche an ihnen selbst
und an andern aus; bekämpft als
den bittersten Feind die bürgerliche,
höchst innerdeutsche Abhängigkeit
vom Amgebenden, das doch immer
das Unwesentliche ist. Nur innere
Gelassenheit, mit Selbstüberzeugung
gepaart, liefert Ruhe und gewin-
nende Art des Auftretens, Achtung
vor fremder Persönlichkeit, Würde
des Handelns, Anmut der Tempe-
ramentsäußerung. Linzelne dieser
Dinge weiß man gewiß auch bei uns
zu schätzen. Aber man verschmäht
es durchaus, den Boden zu bestellen,
aus dem sie erwachsen könnten.

Goethe hat von den Engländern
gesagt, jeder einzelne von ihnen sei
eine Insel. Der Deutsche wird dieses
insularische Wesen jeder Einzelper-
sönlichkeit kaum anstreben können,
ohne wesentliche Vorteile seiner flie-
ßenderen und dem ungesormten
Weltwesen verwandteren Art preis-
zugeben. Aber muß er unter allen
Amständen die äußeren Anarten, die
aus seiner sorglich gepflegten Lin-
gestelltheit auf das Amgehende stam-
men, mit sich durch die Iahrhunderte
schleppen? Den tzerdentrieb, der lei-
der keine Erfindung von Mißwollen-
den ist, die haltlose Neugier, die Nei-
gung, Nngewohntes zu befehden und
zu reglementieren, die Ungefällig-
keit der Temperamentsäußerung, die
Ungeschicklichkeit in der Behandlung
fremder Naturen, die Maßlosigkeit
in vielen exponierten Lagen, Höl-
derlin sagt: „die finstere, weg-
wersende Scheue oder auch die furcht-
same, unterwürfig blinde Andacht,
womit sie alles aufnehmen, was
außer ihrer ängstlich engen Sphäre
liegt"? Es gibt doch beispielsweise
nicht nur einen deutschen Herden-

trieb (Vereinswesen, Stolz auf die
kleineren Verbände, Sicherungsge-
fühl in der Zugehörigkeit zu einer
„psychologischen Masse"), sondern
auch einen sehr ernsten deutschen
Individualismus. Gelingt es, die-
sem Individualismus die heftig ab-
weisende Beziehung auf das Fremde
(Äberheblichkeit, Anduldsamkeit, Ab-
grenzungsbedürfnis, Ungesells chast-
lichkeit) zu nehmen, so ist den mei-
sten anstößigen Nußerungsarten des
Deutschen der Boden entzogen. Ieder
gebildete und weltläufige Deutsche
vollbringt dies an sich selbst. Wir
alle kennen die ausgezeichneten Er-
gebnisse, die daraus hervorgehen;
denn alle Deutschen, die die leicht
auszusührende Amputation der ge-
nannten Kehrseiten nationaler Tu-
genden an sich vorgenommen haben,
zählen ohne weiteres zu den höchst-
wertigen Europäern.

Es ist also in gewissem Sinue
eine Stärkung des Animalischen,
was wir uns wünschen müssen. Die-
ses Animalische nennen unsre la-
teinischen und latinisierten Gegner
ihre „Kultur", und unsere Verleug-
nung (Eindämmung, Aberwindung)
des Natürlichen heißt ihnen „Kul-
turlosigkeit". Also ein umgekehrter
Sprachgebrauch als bei uns, die wir
mit dem Begriff der Kultur von un-
seren klassischen Zeiten her stets den
Begriff einer Entgegensetzung gegen
die Natur verbinden; aus welcher
Begriffsverschiedenheit denn auch
all das lächerliche Aneinandervor-
beireden stammt, das eben rings um
den Namen Kultur her stattfindet.
Ein sranzösisches Blatt rühmte jüngst
bei der Schilderung eines deutschen
Gesangenentrupps die schmiegsamen,
edlen Gesten des bewachenden Sene-
galesen gegenüber dem plumpen,
unzivilisierten Gebaren der Hun-
nen. Wozu wir wohl mit Fug be-
merken dürfen, daß der Senegalese
an Anmut der Bewegung von je-
dem Affen oder Panther oder von
 
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