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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 17 (1. Juniheft 1916)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0275

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der Gestalten beginnt, dann tritt wieder Ruhe ein, bis zuletzt ein Wind
sich erhebt und gewaltige Akkorde den Gesang des Meeres erschallen
lassen. Das zweite Bild, das unsre Beilage bringt, ist ebenso abseitig:
der Dichter geht mit der Geliebten in den Wald; so groß ist ihre Schön-
heit, daß selbst die uralten Waldgeschöpfe in einer hilflosen Liebe ent--
brennen, und arn Strande des Meeres gar strömen die Ungeheuer zu-
sammen, das Wunder dieser Lieblichkeit anzustaunen. Man wird nicht
oft so seinen musikalischen Humor finden wie in der Vertonung dieses
Liedes. Da girrt und ächgt es, nachdem die ruhige Bewegung der ersten
Takte den Gang der Liebenden begleitet hat, und große, tönende Akkorde
künden die Huldigung der Meergeschöpfe an. Allerorten offenbaren die
geistreichen harmonischen Wendungen, die gravitätische Melodie etwas von
der unsagbaren Lust des Dichters, der in seinem glücklichen Besitz Natuv
und Welt schelmisch herausfordert und ihr neidiges Entzücken der Gelieb--
ten darbringt.

Höhere Töne hat das dritte Lied: „Ich stieg, ein Vogel in der Lüfte^
Blau, die Sonne war hinab mit ihrem Glanze; im Abendsterne stand
die schönste Frau und schlug ein Saitenspiel als wie zum Tanze." Das
ewige Lied des Athers erklingt, weite, große Melodien von seltsamem
Schweben, reich und geistvoll Harmonisiert, klingen aus. Stärker wird
ihre Bewegung. Dann sinkt die Nacht hernieder: die Sterne treten her-
vor, dem Liede lauschend; „sie kreisten schweigend, und es fiel der Tau
zur Erd' hinab auf jede durst'ge Pflanze." Und im späten Dunkel schwingt
sich noch einmal, nur im Klavier, das große, hallende Lied auf, das dev
Dichter erlauscht hat. Diese Tonvision von transparenter Schönheit ver»
gißt man nicht leicht. Es liegt ein Stück Unendlichkeitsehnen in ihr.

Was aber will diese Fülle der Gesichte abseits aller Weltlich- und
Alltäglichkeit? Der vierte Gesang, „Epilog" genannt, kündet es. „Ich
sprach: o Herz, dies alles war ein Traum, und was er deutet, ist nicht
fchwer zu sagen: die Liebe wirkt der Welten goldnen Zaum, und ihre
Ketten muß die Schöpsung tragen. Die Liebe füllt mit seligem Behageu
der Erde Tiefen und der Meere Schaum; des Himmels tzöh'n, den blüh'n-
den Frühlingsraum süllt sie mit Rosen und mit süßen Klagen." Eiu
hohes, ganz reines Pathos ersüllt die Musik zu diesen Worten. Keine
triviale Wendung wird gebraucht. Die tzarmonien ziehen verhüllt einhev
und zeigen selten ein reines Gesicht. Nicht musikalisches Schwelgen ist
der Sinn der Vertonung, sondern ein tief getreues Ausdeuten der Dich--
tung, das wie sie Leidenschaft und Versonnenheit vereint. Erst das Nach-
spiel geht von den überaus reizvoll abebbenden „süßen Klagen" über iu
rauschende Erkenntnis.

In allen diesen Liedern wird der Singstimme Großes zugemutet, nicht
allein melodisch, sondern vor allem auch an Atemkraft. In allen steckt
die Begleitung voll von harmonischen Feinheiten und leisen Bezügen auf
die innerlichsten Wesenheiten der Dichtung. Viel ist hier nicht zu er-
klären, alles ist Phantasie, wenn auch gebändigt durch eine kluge, kräftige
Sachlichkeit. Wir wüßten kaum Viele zu nennen, die eine so starke Ver-
innerlichung der Tonsprache haben wie Sekles. Sekles tritt nur selten
mit Kompositionen hervor. Aber jedesmal spürt man, daß ein groß
fühlender, rein künstlerisch gestaltender Musiker hinter ihnen steht. S.

Herausgeber: Oi-. b. c. Ferd. Avenarius in Dresden-Blasewitz; verantwortlich: der herausgeber —
Derlag von Georg D- W. Callwey, Druck von Kastner Lc Lallwey, k. Hofbuchdruckerei in München —
gn Ssterreich-Ungarn für Herausgabe und Schriftleitung verantwortlich: Or. Richard Batka in Wien Xlll/^
 
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