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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

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Heft 18 (2. Juniheft 1916)
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Amerika als Vermittler?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0285

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lichen Ordnung ab. Wo die öffentliche Meinung korrupt ist, wo
die Zeitungen nicht ein Spiegel des gebildeten, politisch reifen und daher
führendes Teiles des Volkes sind, sondern nur Machtmittel in den tzän-
den von „Interesfenten", da ift Dernokratie nichts als eine Kulisse, besser
gesagt, als eine Atrappe, deren Inhalt ganz etwas anderes ist, als die
Aorrn. Wenn also Wilson einfach die Staatssorm Amerikas andern,
europäischen Staatssormen gegenüberstellt, so dilettiert sein Denken dabei.

Was nun das Zusammenarbeiten der Nationalitäten betrifst, so sagt
Wilson darüber an einer anderen Stelle der gleichen Rede: „Amerika,
das als Schmelztiegel für diese mannigfaltigen Elemente diente, war
immer in der Bildung begrifsen, und während wir uns inmitten dieses
Prozesses befanden. offensichtlich aus dem tzöhepunkt und in der Krise
dieses Prozesses, kam die große Katastrophe des europäischen Krieges.
In diesem spielt sich dasselbe ab, was in Amerika vor
sich gegangen ist. Ls ist ein Wettbewerb nationaler Grundanschau-
ungen. nationaler Aberlieserungen, verschiedener Arten von nationaler
Politik und politischer Systeme." Er vergleicht also ganz ernsthaft die
Auseinandersetzung der europäischen Nationen nicht etwa mit dem Gegen--
sast zwischen Amerikanern und Iapanern. sondern mit dem Ausgleich
der verschiedenen Nationen innerhalb der Vereinigten Staaten. Ein
Europäer. der die europäische Geschichte der Veraangenheit und Gegenwart
auch nur halbweas kennt, must unwillkürlich über eine so selbstbewustte
und harmlose Anschauung lächeln. Die volitischen und geistigen Voraus-
setzungen der nationalen Gegensätze in Amerika und Europa sind so
grundwesentlich verschieden. daiz nur völliae Unwisienheit sie in einem
Atemzuge nennen kann. Gewiiz. Eurova hat das Problem des ruhiaen
Miteinanderlebens der Nationen noch nicht gelöst. Aber aus dem ein-
sachen und verhältnismäizia leichten Weg der Amerikaner kann es das
auch nicht. Vielleicht zu seinem Glück. Wir weniastens sind der Mei-
nung. dast die amerikanische Lösung nur eine Scheinlösunq ist, und
daiz. unter gewissen Nmständen. die eigentlichen Schwierigkeiten. die im
Zusammen verschiedener Nationen stecken. Amerika noch einmal vor ähn-
lich verzweifelte Ausgaben stellen könnten wie aeaenwärtig Europa. Besser
als Selbstzufriedenheit stände den Amerikanern an. dafür zu sorgen, daß
die Nationalitäten- und Rassensragen im eigenen Lande wirklich und
endgültig gelöst würden. Mit den Ur-Amerikanern roter Iaut hat man
sich sa sehr einfach „geeinigt". aber unter den aus Eurova Stammenden
gibt es, wie die „Bindestrich-Amerikaner" beweisen. noch sehr verschiedene.
und von drüben her klovfen Iav und Cbinaman an die Türen mit Streis
und Stern. Die weitere amerikanische Geschichte dürfte den ^erren mehr
Verständnis sür die europäischen Schwierigkeiten lehren.

Aassen wir zusammen: die gegenwärtige amerikanische Regierung hat
sich selbst die Rolle des ^riedensvermittlers aufs Außerste erschwert da--
durch, dasz sie sich mit einer äujzerlicben Buchstaben-Neutralität be-
gnügte und daß sie im Verlaus des Krieges noch nicht zu einem über-
s-'hcsiienden Verständnis der europäischen Probleme vorgedrnngen ist. Die
tiefste Nrsache für beides ist wohl die: Amerika hat eine leichtere äußere

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