Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,3.1916

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1916)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14293#0307

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gen die Historiker streiten und es
mögen die wohl recht haben, die
über Ranke hinauswollen son-
dern rein menschlich. Die tiese,
innerlich lebendige Ruhe seines Be--
trachtens, das vornehme Abwägen,
die Fähigkeit, auch beim Versenken
ins Einzelne stets das Gefühl des
großen durchgehenden Zuges einer
Entwicklung zu erhalten, die Durch«
tränktheit mit Ewigkeit — all das
Weite, Klare, Sorgsame, Deutsche
seines Wesens strömt aus seinen
Werken auf den Leser über. Es muß
freilich ein ruhiger Leser sein, und
einer, der sich diesem Geiste hin-
gibt, der ungeduldige und erregte
empfindet Ranken leicht als „kühl".
Wie sehr brauchen wir nicht gerade
im modernen Leben solch einen Füh--
rer zur kühlen, ruhigen, reichen
Tiefe! Nun also: von „Rankes
Meisterwerken" haben Duncker und
Humblot, endlich, bevor ihr Recht
an seinen Büchern erlischt, die Volks-
ausgabe hergestellt, die sie uns
eigentlich längst schuldeten: sO Bände
zum Subskriptionspreis von 50 Mk.
Früher kostete die „Deutsche Ge-
schichte im Zeitalter der Resorma-
tion" allein 38, die Papstgeschichte
25 Mark.

Die Ausgabe enthält die Refor-
mationsgeschichte in füns, die Papst-
geschichte in drei Bänden, ferner in
einem Band die Geschichte Wallen-
steins ^bisher 8,^0 Mk.) und im
Schlußband vier kleinere Arbeiten,
darunter die besonders interessante
über „die großen Mächte". Die Aus-
stattun^- der Pappbände und der
Druck sind gut und würdig. Nur
der kitschige Vierfarbendruck des
Bildnisses vorn im ersten Band fällt
unangenehm ab. An diese Stelle
gehörte ein Stich oder ein guter
Holzschnitt. Auch ist nicht recht ein-
zusehn, warum aus den Titelblättern
der Obertitel in Antiqua, der Nnter-
titel in Fraktur gedruckt ist. Doch
stört beides bei der geschmackvollen

Gediegenheit des übrigen nur
wenig.

Am die Geschichtsbücherei des
deutschen tzauses ist es im allgemei-
nen noch recht schlecht bestellt, ob-
wohl wir an bedeutenden Geschichts-
schreibern keinen Mangel haben. Der
Grund liegt nur darin, daß unsre
wissenschaftlichen Bücher im allge-
meinen zu teuer sind. Man zähle
zusammen, was die tzauptwerke von
Ranke, Mommsen, Treitschke kosten:
nur 'ein sehr Wohlhabender kann sich
eine Bücherei aus den Werken unsrer
großen Geschichtsschreiber zusammen-
stellen! Und doch, wie wertvoll wär'
es, wenn derartige Bücher an Stelle
so vieler Tagesliteratur als Haus-
mannskost genossen würden! Das
Wichtigste ist ja auch hier wie bei
der Kunst nicht das Was: ob das,
was Ranke darlegt, nach dem „neu-
sten Stand der Wissenschaft" noch
ganz genau „richtig" ist, sondern das
Wie: wie er die Welt sieht. Nicht
so sehr auf die Korrektheit jeder Ein-
zelheit kommt es für die Bildung
eines Volkes an, sondern darauf, daß
es zu sehen lernt. Dadurch, daß wir
die Vergangenheit mit den Augen
eines Ranke, eines Treitschke sehen
lernen, wird nicht bloß unser Wissen
reicher — freilich auch das, aber das
ist unwesentlich, wir dürfen das
Gegenständliche zum großen Teil
ruhig wieder vergessen! —, wir selbst
werden reicher, reiser, tieser, fähiger,
die Tatsachen in großen Zusammen-
hängen zu sehn. Nnsre seelischen
Organe „bilden" sich. D a s ist der
Volksbildungswert der Geschichte, die
von großen Persönlichkeiten geschrie-
ben ist. Darum wünschen wir, daß
die neue Volksausgabe von Ranke
recht weite Verbreitung finde. Nnd
daß uns künftig Volksausgaben von
andern großen Geschichtsschreibern
beschert — nicht erst knapp vor ihrem
„Freiwerden" beschert werden. Der
bildungshemmende Einfluß des heu-
tigen, durch keinen „Nrheberschatz"
 
Annotationen