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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1916)
DOI Artikel:
Jesser, Franz: Was ist uns heute Königgrätz?: zum 3. Juli 1916
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Soziologische Romane und Novellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0024

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standen und gerecht, das heißt aus seinen Daseinsbedingungen her-
aus, beurteilt zu werden. Es hofft, daß seine Auffassung des Volks-
tums als einer überstaatlichen Schicksalsgemeinschaft
zahlreiche Bekenner im Deutschen Reiche finde und jener verletzenden
Gleichgültigkeit ein Ende mache, die noch vielfach als reichsdeutsche Staats-
räson ausgegeben wird.

Dann wird man auch im Reiche die Methoden finden, die — ohne
Einmischung in unsre inneren politischen Verhältnisse — die reichen
wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte Deutschlands unserer völkischen Ent-
wicklung nutzbar machen.

Wien Franz Iesser

Soziologische Nomane und Novellen

^^-ine kurze Zeitspanne befruchtete der Gedanke unser Schrifttum, es
U^gelte vor allem, durch das geschriebene Werk hindurch zur „Natur^
^»^zu dringen. Das war das letzte Ergebnis einer größeren Entwick-
lung, die sich nicht in Gedanken, sondern in dichterischen Werken, weniger
in Deutschland als in Rußland und Frankreich und auch in Skandinavien
vollzogen hatte. Eigentümlich für Deutschland war seine Zuspitzung nach
zwei Seiten. Eine ganz bestimmte Technik bildete sich in Deutschland
aus, und ein ganz bestimmter Begriff von „Natur" kam zur Herrschaft. Zola
hatte eine systematische Schilderung ganzer gesellschaftlicher Gruppen und
Entwicklungen erstrebt, Tolstoi, Dostojewski, Björnson, Ibsen hatten Hypo-
thesen über Lebensordnung und Lebensführung vorgetragen und dabei
mehr Material von beobachtetem Leben geschildert als ihre Vorgänger, um
die Notwendigkeit, gleichsam die realpolitische Geltung ihres Denkens zu
veranschaulichen. Die Deutschen aber hatten zunächst den Schluß gezogen:
es ist die Aufgabe der Kunst, das Wirkliche sichtbar zu machen, und dies
kann nur einer ganz bestimmten Tendenz gelingen. Nun aber zog der
Schluß sie, denn diese Technik besähigte die Meisten nur, die allerein-
sachsten Wirklichkeiten zu erfassen, die unmittelbar vor dem Blick des
Schreibenden lagen. An sich hätte man mit der Technik der „Neuen
Gleise" mehr sichtbar machen können als „Papa Hamlet" oder ein Ber-
liner Vorortbild. Arno Holz hat das später bewiesen. Wollte man aber
mit dieser Technik größere Wirklichkeitzusammenhänge erfassen, als sie
in ihren Ansängen ergriff, dann bedurste es einer kaum zu überschätzen-
den Anstrengung. Die größte Arbeit- und Lebenskraft hätte nur eben
ausgereicht, in mehreren Iahren ein einziges Werk solcher Art zu schaffen.
Man kann das auch so ausdrücken: die Formel des „Naturalismus" war
nicht für die Menge der Dichter geprägt. Es hat aber nun der Mehr-
zahl der Zeitdichter niemals so sehr am Herzen gelegen, bestimmte tech-
nische Forderungen zu erfüllen und damit vielleicht den Anschauungen
vom Wesen der Kunst eine neue Wendung zu geben; sie haben vielmehr
immer aus sich heraus allerlei Erlebnisse irgendwie mitteilen wollen und
sich dabei gern mit einer minder „kunstwürdigen" Technik begnügt. Da
kam denn bald genug der Gedanke aus, diese Technik als solche sei nicht im-
stande, das auszunehmen, was ernste Dichter nun einmal zu sagen für
nötig hielten. Eine begreisliche Voreiligkeit.

War die Formel des Naturalismus gestürzt, so war doch nicht aus
der Welt geschafft die Annäherung an die Wirklichkeit, welche sie als all-
 
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