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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 19 (1. Juliheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0049

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dumm. Wir werden nach dem
Kriege genug zu tun haben, um
ein jeder die eigne Art in sich stark
zu halten und frei von fälschenden
Aufdringlichkeiten anderer. Die aber
den eignen Kreis und die eigne
Meinung dogmatisch für das allein
Berechtigte halten, die sich zum
Nachprüfen fremder Gedanken und
zum Einleben in fremde Äberzeu-
gungen gar nicht veranlaßt sehn und
womöglich noch fragen: was habe
ich (der deutsche Bürger) mit ihm
(dem deutschen Bürger im selben
Deutschen Reiche) gemein? — die
sind gefährlich. Denn sie rücken
immer wieder das in Frage, worauf
es bei unserer inneren Politik vor
allem andern ankommen wird: die
Möglichkeit, sich bei aller Mannig-
faltigkeit des Denkens für das Ge«
meinsame zu verbünden. Im Kriege
ist dieses Verbünden geglückt. Fehlt
die gemeinsame Gefahr, so wird es
mißlingen, wenn die Vorbedingun-
gen dazu nicht in allen wirken. Die
aber sind, daß auch bei der hef-
tigsten Bekämpfung der Gedanken
die Achtung zwischen Mensch und
Mensch, zwischen Deutschem und
Deutschem nicht wegen abweichender
Meinungen abgesprochen, mit
andern Worten: daß nicht ver-
ketzert wird.

Weil es auf ein Verketzern zu--
rückging, ein gesellschaftliches Min-
derbewerten, ein moralisches
Geringschätzen, deshalb öffnete sich
vor dem Kriege zwischen „Sozial-
demokraten" und „Bürgerlichen"
das, was man „den Riß durchs
deutsche Volk" genannt hat. Denen
auf der äußersten Linken gehörte der
„Bürgerliche" eben zur „ausbeuten-
den" „Kaste^. Und von einem klu-
gen, seinen und sehr gebildeten An-
gehörigen der Rechten bin ich noch
vor drei Iahren ganz im Ernst aufs
Gewissen gefragt worden, ob ich
wirklich glaube, ein Sozialdemokrat
könne Ideale haben. Wer sich die-

ses Geistes nach zwei Iahren Krie-
ges nicht mehr recht erinnern kann,
der erinnere sich der Agitation des
ehemaligen Lehrers Kotzde gegen den
Hamburger Prüfungsausschuß für
Iugendschriften oder der Verdäch-
tigungen des freideutschen Iugend-
tages auf dem Meißner. Es ist
vollkommen begreiflich, daß es aus
solchen Denkgewohnheiten her den
Parteien jetzt schwer wird, umzu-
lernen. Wenn aber die Sozialderno-
kraten jetzt aus Graf Westarps Wor-
ten bloß die Abweisung hören, so
dürfen wir auch an die für einen
Mann seiner Partei erstaunlich
entschieden achtungsvolle, ja be-
wundernde Anerkennung sozial-
demokratischer Leistungen erinnern.
Ein Aufgeben von Äberzeugungen,
ein Wechsel im Parteiprogramm
kommt bei dieser Frage gar nicht in
Betracht. Was spielt denn auch,
beispielsweis, der programmatische
Gegensatz der Sozialdemokratie
gegen das Königtum praktisch für
eine Rolle! Die Vorbedingungen
praktischer Zusammenarbeit sind
immer und immer wieder: daß man
abweichende Denkart, abweichendes
Fühlen, abweichende Interessen bei
denen hinnimmt, mit welchen man
im gleichen deutschen Reichsbau, ob
gern oder ungern, zusammenarbei-
ten muß. Als Gegebenheiten, als
Kräfte, mit denen man sich hier
auseinandersetzen, dort verbünden
wird, wegen deren man aber keinen
Gegner erniedrigen darf, da das
Erniedrigen und Äberheben nun
einmal das gemeinsame Arbeiten
verdirbt.

Es ist nun recht offen auch von
den Bestrebungen gesprochen wor-
den, einen Kanzlerwechsel zu er-
zwingen. Wer nur das Eine be-
denkt: was ein Bruch im Zusam-
menhang der Regierung jetzt be-
deuten würde, wo selbst unsre Feinde
trotz all ihrer übeln Ersahrungen
dergleichen sorgsamst vermeiden,

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